Stolpersteinbiografien I-K

Ferdinand Isenberg, geb. 21.3.1875, 1938-1939 Haft im KZ Fuhlsbüttel, dort Suizid am 18.2.1939

Stolperstein: Wandsbeker Marktstr. 19 (Hamburgerstr. 30)

Das letzte Weihnachtsfest, das Ferdinand Isenberg 1938 erleben sollte, hatte er trotz seiner bedrängten Lage gut vorbereitet. Zusätzlich zum bewilligten monatlichen Freibetrag beantragte er am 14. Dezember beim Sachbearbeiter der Devisenstelle 500 RM. Als Begründung gab er an, er wolle seine „arische“ Ehefrau beim Kauf von Weihnachtsgeschenken und Schwester und Schwager bei ihrer geplanten Auswanderung unterstützen. Ferdinand Isenberg hatte in den Monaten zuvor mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, seine Firma aber bis zum Novemberpogrom 1938 halten können. Ihm gehörte das Korsetthaus Gazelle, der größte jüdische Filialbetrieb Hamburgs – und damit unterlag er dem üblichen, vermögenden Juden unterstellten Generalverdacht, er beabsichtige auszuwandern und gedenke, Gelder am Fiskus vorbei zu transferieren. Deshalb hatte die Devisenstelle seine Konten auch durch Sicherungsanordnung sperren lassen.
1937 existierten in Hamburg noch insgesamt 175 jüdische Textileinzelhändler. Von 115 Fachgeschäften für Damen- und Mädchenbekleidung befanden sich 49 in jüdischer Hand, darunter u.a. die Konfektionshäuser Gebr. Hirschfeld und Gebr. Robinsohn sowie die Firma Korsetthaus Gazelle. Diese bot Damenwäsche und Korsetts in 18 Filialen in Hamburg an. Ferdinand Isenberg hatte sein Unternehmen seit 1907 schrittweise zu einem der reichsweit größten der Branche ausgebaut.
Aufgewachsen war er im Hamburger Grindelviertel in eher bescheidenen Verhältnissen. Sein aus Dransfeld im jetzigen Landkreis Göttingen stammender Vater betrieb in der Straße Rutschbahn 24 ein Lotterie-Geschäft. Dort befand sich auch die Wohnung der Familie. Die Eltern Hermann Isenberg und Sophie, geb. Wassermann, hatten 1872 in New York geheiratet und waren nach Deutschland zurückgekehrt. Die Eheleute bekamen insgesamt neun Kinder. Die Familie gehörte der Jüdischen Gemeinde an und zahlte ihre Mitgliedsbeiträge. Lediglich während des Ersten Weltkriegs hieß es in einem Vermerk der Gemeinde: „Vier Söhne im Felde, kann nicht zahlen“. Doch Hermann Isenberg blieb nichts schuldig. Am Ende seines Lebens – er starb 1919 – war alles beglichen.
Es ist nicht bekannt, wann Ferdinand Isenberg sein Elternhaus verließ und warum er in die Wäschebranche einstieg. Allerdings gab es in der Großfamilie Isenberg Angehörige, die in der Textilbranche sehr erfolgreich tätig waren, insbesondere im Leinen- und Tuchhandel, in der Pelz- und Modebranche.
Bevor Ferdinand Isenberg sich selbständig machte, betätigte er sich als Vertreter für Wäsche. 1907 beteiligte er sich an der OHG Korsett-Salon Royal, Rubbel & Co., 1911 übernahm er das Geschäft als Alleininhaber, ein Jahr später expandierte er, indem er eine Zweigniederlassung in Harburg gründete und 1914 eine weitere in Hannover. Im selben Jahr benannte er die Firma um in Korsetthaus Gazelle, Ferdinand Isenberg, und heiratete mit 39 Jahren. Seine Frau, die vier Jahre jüngere Sophie, geb. Beck (Jg.1879), stammte nicht aus einer jüdischen Familie, trat aber zum Judentum über. So blieb Isenberg die Unterstützung der jüdischen Gemeinde erhalten; Mischehen lagen zwar im Trend, doch die Paare mussten oftmals Widerstände von jüdischer wie christlicher Seite überwinden. 
Nach Angaben einer Verwandten soll es sich um eine „günstige Verbindung“ gehandelt haben. Gleichwohl musste das Paar sechs Jahre warten, bis der Vater der Braut die Ehe mit einem Juden guthieß. Er erschien auch nicht zur Trauung. Die Tatsache, dass sein Schwiegersohn Jude war, wog schwer, und dass dieser durch seine offenherzige Wäschekollektion zudem die allgemein grassierende sexuelle Freizügigkeit jener Zeit förderte, machte die Sache nicht einfacher. Korsetts wurden ja nicht nur als Schnürmieder für beleibte Frauen und Mädchen mit schwachen Knochen angefertigt, sie gehörten als Korsagen auch zur Ausstattung der Halb-, Revue- und Operettenwelt. Isenberg pflegte Umgang mit Tänzerinnen, was seinen Ruf beschädigte. Auch innerhalb seiner eigenen Familie gab es religiöse Verwandte, die seine Geschäfte für frivol hielten und seinen Lebensstil zu säkular fanden. Isenberg selbst setzte sich wohl über Vorbehalte seiner Umgebung hinweg, doch für die jüdische Gemeinschaft blieb der „Wandler zwischen den Welten“ – so eine Verwandte über ihn – umstritten. Und die erzkonservativen Sittlichkeitsvereine prangerten in antisemitischer Diktion die allgemeine „Libertinage“ (d.h. Freizügigkeit) und die Juden als deren Vertreter an.
Die (kinderlosen) Eheleute Isenberg gehörten der liberalen Kultusgemeinde des Tempelverbandes an und wohnten anfangs am Mundsburgerdamm 50, später in der Maria-Louisen-Str. 122 III. Die Gazelle-Zentrale mit dem Warenlager und den Büroräumen befand sich in der ABC-Str. 56/57 in der Neustadt. 
Nach dem Ersten Weltkrieg und während der Inflationszeit 1922 geriet Ferdinand Isenberg zeitweise in finanzielle Probleme, doch ab Mitte der 1920er Jahre liefen die Geschäfte wohl wieder besser. Jedenfalls entschloss sich die Firma auszubilden. Eine Frau, die als Lehrling angenommen wurde, berichtete später: „Als ich aus der Schule kam, hatte ich das Glück, eine Lehrstelle im Büro bei einer Firma, die Korsetts und Ähnliches nähte, zu bekommen. Gazelle hieß die Firma. Der Inhaber war ein Jude und sehr streng. Wir mussten sehr viele Überstunden machen und durften keine eigene Meinung äußern. Aber ich bin trotzdem bei der Firma geblieben, als ich ausgelernt hatte.“ Das mochte damit zusammenhängen, dass der Firmeninhaber auch sehr großzügig und hilfsbereit sein konnte. Zudem hatte die Gazelle Zukunft. Ein Blick ins Adressbuch von 1928 weist zehn Filialgeschäfte allein in Hamburg aus. Anfang der 1930er Jahre eröffnete Isenberg in Wandsbek das elfte Geschäft in der Hamburgerstr. 30. Die Nachfrage nach Damenwäsche und Korsetts war offenbar groß, doch es ist anzunehmen, dass die neue Filiale von den Inhaberinnen der beiden dort bereits existierenden Geschäfte als starke Konkurrenz gesehen wurde. So dürften es nicht wenige als Genugtuung empfunden haben, als etwa fünf Jahre später die Filiale auf dem antisemitischen Flugblatt gelistet war, das den Boykott jüdischer Geschäfte in Wandsbek anordnete. Dessen ungeachtet zahlte Isenberg 1935/36 hohe Mitgliedsbeiträge an die Jüdische Gemeinde, was den Rückschluss auf glänzende Geschäfte zulässt. Erst die Maßnahmen, Gesetze und Verordnungen, die 1938 gegen die wirtschaftliche Betätigung der jüdischen Bevölkerung erlassen wurden und der Zugriff auf ihre Vermögen, leiteten den Niedergang ein. 
Die Ermittlungen gegen Isenberg begannen im Juli 1938. Federführend waren das Finanzamt Hamburg-Neustadt und die Zollfahndungsstelle Hamburg. Ersteres forderte 37.800 RM als Sicherheit für die Reichsfluchtsteuer an, die Isenberg durch Verpfändung von Wertpapieren bereits geleistet hatte. Am 23. Juli 1938 erließ die Zollfahndungsstelle eine vorläufige Sicherungsanordnung mit der fadenscheinigen Begründung, man habe eine Mitteilung erhalten, wonach eine Reihe von Juden namhaft gemacht worden seien, die regelmäßig die Spielbank in Baden-Baden besuchten. Juden, die auswandern wollten, tätigten geringfügige Spiele und behaupteten dann bei der Auswanderung, sie hätten ihr Vermögen beim Spiel verloren, während sie es in Wirklichkeit nach dem Ausland gebracht hätten. Auch Isenberg habe wiederholt die Spielbank Baden-Baden besucht, und es bestehe Auswanderungsgefahr. Auf der Rückseite des Ermittlungsberichts hieß es dagegen: „Isenberg hat angeblich nicht die Absicht auszuwandern, er hat jedoch Geschäftsbeziehungen nach dem Auslande (Schweden). Er besitzt einen deutschen Reisepass, der jedoch nicht mehr gültig ist.“ Das Misstrauen der Behörden konnte er damit nicht beseitigen. Um Arbeitsplätze und Lohnzahlungen nicht zu gefährden, war der normale Geschäftsbetrieb der Gazelle-Betriebe von der Sicherungsanordnung ausgenommen, schließlich handelte es sich um eine große Anzahl von Ladengeschäften mit vielen Mitarbeitern. Außergewöhnliche Maßnahmen wie z.B. Ausverkäufe waren dagegen genehmigungspflichtig.
Neben dem Geschäftsvermögen der Gazelle-Betriebe umfasste die Sicherungsanordnung ein in der Süderstr. 70-72 gelegenes Grundstück und Isenbergs Privat-Wertpapierdepot. Weiter hieß es im Ermittlungsbericht: „Zur persönlichen Lebensunterhaltung des Isenberg und seiner Ehefrau habe ich einen Betrag von monatlich höchstens 1000 RM freigelassen, wobei berücksichtigt ist, dass Isenberg angeblich monatlich 200 RM Miete zahlt.“
Isenberg musste eine Vermögensaufstellung einreichen und sollte Reisen ins Ausland nur mit Genehmigung der Devisenstelle Hamburg unternehmen dürfen. Auch Isenbergs Ehefrau unterlag den Sicherungsmaßnahmen und durfte über ihr Grundstück Süderstr. 70-72 und über ihre Sparguthaben ebenfalls nur mit schriftlicher Genehmigung verfügen. 
Wie in diesen Fällen üblich, wurden zahlreiche Ämter und Dienststellen über die Sicherungsanordnungen informiert, auch die Gestapo. Weiter hieß es: „Ich bitte zu veranlassen, dass den Eheleuten die Pässe abgenommen werden.“ Zwar waren diese bereits ungültig, aber sicher ist sicher, mochte sich der Beamte gedacht haben. Doch Isenberg hatte sich entschlossen zu kämpfen. Er ließ Beschwerde durch den Rechtsanwalt Dr. Morris Samson einlegen. Dieser schrieb: „Auswanderungsabsichten bestehen nicht, da Ferdinand Isenberg schon 64 Jahre alt ist und keine Verwandten im Ausland hat.“ Doch zwei Wochen später teilte der Rechtsanwalt der Devisenstelle mit, dass er nach Rücksprache mit seinem Mandanten die Beschwerde zurückziehe. Das war nur die halbe Wahrheit. Vorher hatte die Devisenstelle den Anwalt zu einem Gespräch zitiert, um ihm die Aussichtslosigkeit seiner Eingabe vor Augen zu führen. 
Ob sich Isenberg tatsächlich mit Auswanderungsplänen trug, ist nicht bekannt. Sein nach New York ausgewanderter Bruder Rudolf war zu dieser Zeit bereits verstorben.
Mittlerweile hatten Treuhänder alles vorbereitet, um die Firma zu zerschlagen und die Filialen zu verkaufen. Um den Firmeninhaber noch stärker unter Druck zu setzen, unterstellte man ihm „Rassenschande“. Wie das Komplott wegen dieses Delikts gegen Isenberg konkret eingefädelt wurde, wer daran beteiligt war und den Stein ins Rollen brachte, kann nicht mehr geklärt werden. Jedenfalls verschwand Ferdinand Isenberg Ende Dezember 1938 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Das genaue Datum seiner Inhaftierung wie auch die Anschuldigungen und Zeugenaussagen sind nicht bekannt. Entsprechende Akten des Kriminalkommissariats 23, zuständig für Sittlichkeitsdelikte, zu denen auch „Rassenschande“ zählte, wurden vernichtet. Entrechtet, voller Scham und ohne Möglichkeit, sich zu entlasten, sah Ferdinand Isenberg als Ausweg nur noch den Tod. Am 18. Februar 1939 wurde er erhängt aufgefunden; laut gerichtsmedizinischer Untersuchung handelte es sich um Selbstmord. Ferdinand Isenberg, der gerne gelebt hatte, aber auch andere leben ließ, setzte mit dem Suizid nicht nur ein letztes Zeichen der Selbstbestimmung, er entzog sich auch seiner Verzweiflung und allen Demütigungen und Entrechtungen, die noch auf ihn zugekommen wären. Das Hamburger Tageblatt teilte der Öffentlichkeit zwei Tage später in großer Aufmachung unter der Überschrift „Das Ende eines Schacherjuden“ den Tod des „Rassenschänders“ und „Lebemannes“ mit.
Ferdinand Isenberg hatte mit seinem Schritt letztlich auch den Rest seines Vermögens für seine „arische“ Ehefrau gerettet, die Alleinerbin war. Erst einmal hob die Dienststelle die Sicherungsanordnung gegen Sophie Isenberg auf. Als Testamentsvollstrecker und Firmenabwickler wurde nun der Rechtsanwalt Wilhelm Behrens tätig. Er beriet die Witwe und sorgte dafür, dass sie ihr Erbe auch antreten konnte. Zuvor mussten noch ein paar Dinge geklärt werden. Eine Woche nach Isenbergs Tod wurde Behrens aufgefordert, u.a. folgende Unterlagen einzureichen: den „Ariernachweis“ der Ehefrau, eine Aufstellung des Gesamtvermögens, eine Bestätigung des Finanzamtes über die Aufhebung der Reichsfluchtsteuer und „eine Erklärung der Frau Isenberg, dass sie dem Jüdischen Religionsverband nicht angehört hat.“ Die letzte Forderung war heikel, denn Sophie Isenberg war ja zum jüdischen Glauben übergetreten. Am 17. März 1939 trat sie aus der Jüdischen Gemeinde wieder aus und konnte eine entsprechende Bescheinigung einreichen.
Sie ließ die Beerdigung vom Beerdigungsübernehmer F. Wolfson mit Firmensitz in der Neustadt, Peterstr. 33, ausrichten. Anfang März wurden die Sachen ihres Mannes bei der Kripo abgeholt, darunter ein Geldbetrag in Höhe von 11,52 RM und ein Paar goldene Manschettenknöpfe. Sophie Isenberg wechselte die Wohnung und zog in die Barmbeker Str. 133.
Der Testamentsvollstrecker war erfolgreich: Isenbergs privates Vermögen wurde dem staatlichen Zugriff wieder entzogen und ging an seine Erbin, nachdem die Sicherungsanordnung gegen die Eheleute am 2. Mai 1939 aufgehoben worden war. 
Die Firma existierte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Der Historiker Frank Bajohr weist nach, dass der Treuhänder Anfang 1939 elf der Läden an ehemalige Verkäuferinnen verkauft und die restlichen sieben Filialen ohne Verkauf geschlossen hatte. In vier Fällen wurde der Verkauf durch Beteiligungen branchenfremder privater Geldgeber finanziert. Die in allen Fällen sehr niedrigen Verkaufspreise setzten sich aus dem Liquidationswert des Inventars und der minderbewerteten Warenlager zusammen. Verkauft wurden die Filialen Mönckebergstr. 29, Steindamm 13, Hamburger Str. 96, Schulterblatt 140 und die Filiale in Wandsbek. 
Sie fiel an Paula Moths, deren Wohnung sich 1942 in der Lesserstr. 48 befand. Das Geschäft überstand die Bombardierung nicht – ebenso wie die meisten anderen Filialen. Lediglich sechs Filialen existierten 1947 noch. Nach und nach verschwand das Korsett-Haus Gazelle aus dem Hamburger Stadtbild. 
In den 1950er Jahren war „Gazelle“ wieder der Name einer Wäschekette, diesmal in Österreich. In ihren Anfangsjahren arbeitete die österreichische Gazelle noch mit einer Unterwäsche-Kollektion, die von Else Kuschinski-Goldstein aus der Großfamilie Isenberg ursprünglich für die Gazelle Ferdinand Isenbergs entworfen worden war. Demnach bestand eine gewisse Kontinuität zwischen der Gazelle Ferdinand Isenbergs und der österreichischen Firma.
1998 übernahm die Palmers Textil AG das Unternehmen, das sie 2006 wieder abgab. Inzwischen wurde die Marke als angestaubt und hausbacken gesehen, obwohl – wie es in einer Studie über den Wäschemarkt hieß – die Gazelle vor einigen Jahren noch einen Bekanntheitsgrad von 46 Prozent hatte und bekanntere Firmen auf die hinteren Ränge verwies. Die Gazelle verabschiedete sich mit der Übernahme der 23 Geschäfte durch die Huber-Shops bis Ende 2007 „nach 50 Jahren gänzlich“, wie ein Artikel des Standard vom 10. September 2007 bedauerte. 
Der von Ferdinand Isenberg kreierte Name prägt das weibliche Schönheitsideal bis heute: schlank, leichtfüßig, grazil – eine Gazelle eben. Wir wissen nicht, wer oder was ihn 1914, dem Jahr seiner Eheschließung, zur Wahl dieses Namen veranlasst hat. Vielleicht fördert die Familienforschung der Enkelin von Rudolf Isenberg in New York noch zu Tage, was diese kurze Biographie nicht beantworten kann.

Astrid Louven
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Hulda Kaufmann, geb. 15.10.1890, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz

Stolperstein: Wandsbeker Königstraße 7-11 (Königstr. 7)

Über Hulda Kaufmann wissen wir trotz intensiver Nachforschungen fast nichts. Lediglich die Eintragungen auf der Kultussteuerkarteikarte der Jüdischen Gemeinde und der Deportationsliste geben sparsame Hinweise. Erschwerend kommt hinzu, dass die wenigen auffindbaren Spuren, z.B. ihre Meldekarte, in den wichtigen Details unleserlich sind. Das trifft auch auf die Eintragung ihrer Berufsbezeichnung auf der Kultussteuerkarte zu. Möglicherweise war Hulda Kaufmann ausgebildete Lehrerin, die ihren Beruf nicht mehr ausüben durfte und arbeitslos war. Doch gibt es keinen Hinweis, dass sie vor 1933 im Hamburger Raum tätig war, auch nicht an einer Privatschule. 
Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehörte sie zu den allein stehenden Jüdinnen – sie war nicht verheiratet –, die in den 1930er Jahren aus kleineren Provinzstädten nach Hamburg kamen und in der Großstadt Schutz vor antisemitischen Übergriffen und bessere Existenzbedingungen wie Berufsmöglichkeiten oder Unterstützungsleistungen durch die jüdische Gemeinschaft suchten.
Während – wie schon erwähnt – über Hulda Kaufmann selbst wenig in Erfahrung gebracht werden konnte, ist es doch gelungen, ihre familiäre Herkunft zu beleuchten. 
Hulda Kaufmann wurde am 15. Oktober 1890 als Tochter von Matthias (Max) Kaufmann (Jg.1854) und seiner Frau Dina, geb. Schiff, in Könnern an der Saale geboren. Zu dieser Zeit lebten dort knapp 30 Juden, 1905 nur noch sieben, die zur Synagogengemeinde in Halle gehörten. Es ist davon auszugehen, dass auch die Familie Kaufmann Könnern verlassen hat. Angehörige des Vaters lebten in Leipzig und Bernburg. Für Halle ergaben sich keine weiteren Hinweise.
Hulda Kaufmann hatte fünf Geschwister, zwei Brüder und drei Schwestern, die zwischen 1882 und 1894 geboren wurden. Sie war die zweitjüngste. Ihr Vater starb 1895, als sie fünf Jahre alt war. Eine ihrer Schwestern (Jg.1886) ist 1980 in Frankfurt/Main verstorben. 
Wann Hulda Kaufmann nach Hamburg kam, ist ebenso wenig bekannt wie das genaue Jahr ihrer Anmeldung in Wandsbek, das unleserlich ist. Sie meldete sich in der Königstr. 7 II. an. Dort wohnte die Witwe Malchen Spangenthal, geb. Jacob, bis zu ihrem Tod im Juli 1936. Diese war nach dem Eintrag auf der Meldekarte evangelischer Konfession, wurde jedoch neben ihrem Ehemann auf dem jüdischen Friedhof Jenfelder Straße bestattet. Ob Hulda Kaufmann bei ihr wohnte oder erst einzog, nachdem die Wohnung freigeworden war, ist nicht bekannt. Jedenfalls blieb sie in der Königstraße gemeldet, bis sie den Deportationsbefehl erhielt. In der Deportationsliste ist ihr Beruf mit Küchenmädchen angegeben, ebenso wie auf der Meldekarte. Ende Oktober 1941 musste sie Wandsbek verlassen. Mit neun weiteren jüdischen Wandsbekern fand sie sich in der Sammelstelle an der Moorweide ein. Sie gehörte zu den ersten etwa 1000 Juden, die aus Hamburg deportiert wurden. Am 25. Oktober 1941 bestieg sie den Zug nach Lodz. Wir wissen nicht, wie lange sie dort überleben konnte, denn auch im Getto Lodz hat sie keine Spur hinterlassen. Ihre dortige Adresse ist nicht aktenkundig geworden. 
Das Beispiel Hulda Kaufmann zeigt, wie wenig wir trotz aller Bemühungen über jemanden erfahren, wenn keine Akten über Vermögensentziehung, über tatsächliche oder unterstellte kriminelle Aktivitäten, über gesundheitliche Probleme oder andere Fakten existieren, zumal wenn keine Verwandten überlebt haben, die an diese Person erinnert oder Wiedergutmachungsanträge gestellt haben. 
Astrid Louven
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Hulda Kaufmanns Steuerkartei bei der Jüd. Gemeinde Wandsbek bzw. beim Jüd. Religionsverband in Hamburg (StaHH)


 

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Margarethe Krohn (Privatbeseitz)

Ida Krohn (Cohn), geb. Scheuer, geb. 29.8.1858, verstorben am 16.6.42 in Hamburg 
Margarethe Krohn (Cohn), geb. 30.12. 1895, deportiert am 6.12.1941 nach Riga

Stolpersteine: Rantzaustr. 94 (Löwenstr. 48)

Die beiden Frauen, von denen dieses Kapitel berichtet, waren Verwandte einer in Wandsbek bekannten und angesehenen Familie, nämlich Schwiegermutter und Schwägerin des Pastors Bernhard Bothmann, der an der Wandsbeker Kreuzkirche amtierte.
Margarethe Sophie Auguste Krohn wurde am 30. Dezember 1895 in Oldesloe geboren als Tochter des (Bank)Kaufmanns Julius Cohn und seiner Ehefrau Ida, geb. Scheuer. Die seit 1884 verheirateten Eheleute hatten vier Kinder, außer Margarethe u.a. noch ihre ältere Schwester Emmy (1886-1979). Die Familie gehörte der christlichen Konfession an. 
Am 14. September 1897 meldete sich Julius Cohn von Hamburg kommend in der damaligen Löwenstr. 48 in Marienthal an; eine Woche später zog auch seine Familie aus Oldesloe nach. 
Die Wandsbeker Episode endete mit dem Tod des Ernährers Julius Cohn am 14. Februar 1904. Ende März d.J. meldete sich seine Witwe nach Hamburg ab und zog mit den Kindern nach Eilbek in die Papenstr. 99 I. 
Die Tochter Emmy Cohn wurde Lehrerin und unterrichtete an der Privatschule Hübner in Wandsbek, bis sie 1913 den Pastor Bernhard Bothmann heiratete, mit dem sie vier Kinder hatte. 
Ihre Schwester Margarethe lebte mit der Mutter zusammen, blieb unverheiratet und kinderlos. Sie war als Kontoristin tätig und verdiente den Lebensunterhalt nicht nur für sich, sondern unterhielt auch die Mutter. 
Sei es, um Berufsmöglichkeiten zu verbessern, sei es, um unbehelligter in der Nachbarschaft leben zu können und Diskriminierungen zu entgehen: Die Familie hatte ihren Namen ändern lassen, wofür generell die Standesämter zuständig waren. Fortan nannten sie sich Krohn. Die Änderung jüdisch klingender Familiennamen erfolgte nach bestimmten Vorgaben. Danach sollten die neuen Namen möglichst indifferent sein – und nicht spezifisch christliche –, was beides auf den Namen Krohn zutrifft. Der Zeitpunkt der Umbenennung ist unklar, allerdings muss er auf jeden Fall vor 1933 erfolgt sein. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme kam der Wechsel zu einem „unverdächtigen“ Namen den Betroffenen zwar weiterhin zugute, doch die Vorteile wurden spätestens am 1. September 1939 wieder aufgehoben: „Juden“ waren nun verpflichtet, die zusätzlichen Vornamen Sara oder Israel im Rechts- und Geschäftsverkehr stets zu führen. Damit war ihre „volljüdische“ Herkunft wieder erkennbar. Doch wie das Beispiel der Familie Bothmann zeigte, garantierte nicht einmal ein christlicher Ehemann bzw. Vater den Schutz vor einer Verfolgung, wenn dieser als Pastor mit einer „Jüdin“ verheiratet war. Bothmann wurde aus seinem Amt gedrängt, weil er sich von seiner Frau Emmy nicht scheiden lassen wollte, so dass sich die Familie schließlich gezwungen sah, Wandsbek zu verlassen. Die Bothmann-Tochter Ingeborg stand als „Mischling ersten Grades“ unter der Aufsicht der Gestapo und durfte ihren nichtjüdischen Verlobten nicht heiraten. Die Tatsache, dass sie schwanger war, sprach aus Sicht der Gestapo nicht für eine Eheschließung, sondern wies auf unerlaubte sexuelle Beziehungen hin, obwohl das Verbot der „Rassenschande“ für „Mischlinge“ eigentlich nicht galt. Die andere Tochter Ruth, die an einer Tanzveranstaltung in Wandsbek teilgenommen und Kontakte zu einem „Arier“ hatte, musste daraufhin eine Nacht in einem Gefängnis verbringen. 
In den Jahren 1937 und 1938 lebten Ida und Margarethe Krohn in Eilbek in der Kibitzstraße. Sie wohnten dort im Erdgeschoss der Nr. 10 und waren als „Witwe Ida Krohn“ und „Frl. M. Krohn“, von Beruf Kontoristin, eingetragen. 

1940 wurde auch die nahezu mittellose Ida Krohn von der Devisenstelle erfasst. Vorausgegangen war eine Mitteilung der Reichsschuldenverwaltung Berlin an die Devisenstelle Berlin. Daraus erfahren wir, dass sie eine „Vorzugsrente“ in Höhe von 165 RM pro Jahr erhielt. Eine Mitteilung darüber ging an die Devisenstelle Hamburg, um zu klären, ob die Summe an die „Gläubigerin Krohn“ oder auf ein Sicherungskonto zu zahlen wäre. Am 14. November erließ die Devisenstelle eine Sicherungsanordnung und schickte einen Fragebogen an Ida Krohn, die inzwischen in Winterhude in der Flüggestr. 14 II. bei Sommer gemeldet war. Sie wurde aufgefordert, den Fragebogen auszufüllen und auf dem Postwege einzureichen. „Persönliche Vorsprachen sind zwecklos.“ Auf dem Fragebogen war notiert: „keine Guthaben/Vermögen, eine Kriegsanleihe, aufgewertete Vorzugsrente 165 RM/Jahr“. Der Passus war mit „Ida Sara Krohn” unterschrieben.
Am unteren Bogenrand hatte ihre Tochter einen handschriftlichen Zusatz hinzugefügt: „Meine Mutter steht im 83. Lebensjahr und hat sie außer der obigen Rente keine weitere Einnahme. Den Lebensunterhalt bestreite ich, Margarethe Sara Krohn, für sie und gelte auch als Haushaltungsvorstand.“ 
Von der Flüggestraße erfolgte noch ein weiterer Umzug: in die Bundesstr. 43, ein sogen. Judenhaus. Für Margarethe Krohn war es der letzte Wohnungswechsel innerhalb Hamburgs. 
Dann kam der Tag im Dezember 1941, als Pastor Bernhard Bothmann seine Schwägerin Margarethe von der Bundesstraße zum Sammelplatz an der Moorweide begleitete. Hier hatten sich Ende Oktober bereits andere Verwandte zur Deportation nach Lodz einfinden müssen: die in Hamburg-Hamm wohnhaften Ärzte Max und Else Rosenbaum, ihre Tochter Marianne und deren Ehemann Manfred Rendsburg. Eine weitere Tochter der Rosenbaums, Gertrud Sachs, wurde mit ihrem Ehemann Julius nach Auschwitz deportiert (vergleiche die Broschüre Stolpersteine in Hamburg-Hamm). Margarethe Krohn musste Hamburg am 6. Dezember 1941 verlassen. Sie war knapp 46 Jahre alt. 
Ruth Bothmann hat die folgende Erinnerung an ihre Tante überliefert: 
„Tante Grete hatte einmal gesagt, wenn ‚die’ mich holen, springe ich aus dem Fenster. Aber sie ist nicht gesprungen. Sie ist in Hamburg auf der Moorweide in einen Transport gekommen. Das letzte Lebenszeichen von ihr war eine Postkarte, die sie aus dem fahrenden Güterzug in Wandsbek aus dem Fenster geworfen hat. Als uns damals die Karte gebracht worden ist, habe ich meinen Vater, der immer Trost wusste und voller Gottvertrauen war, bitterlich weinen sehen.“ 
Tatsächlich haben einige Deportierte frankierte Postkarten an ihre Angehörigen oder Freunde aus dem Zug geworfen, die Eisenbahnpersonal oder Passanten in Postkästen steckten.
Die Begebenheit war innerhalb der Familie lange unklar geblieben, da man sich fragte, warum ein Zug nach Riga Wandsbek passiert haben sollte. Da er aber - nach späteren Forschungserkenntnissen - über Bad Oldesloe geleitet wurde, um dort die bereits wartenden Ahrensburger Juden aufzunehmen, wird das Ereignis nachvollziehbarer.
Am 9. Dezember erreichte der Zug mit den etwa 750 Hamburgern und den Deportierten aus Bad Oldesloe Riga, genauer gesagt, das Gut Jungfernhof, wo die Neuankömmlinge unter erbärmlichsten Bedingungen untergebracht wurden. Dort verliert sich Margarethe Krohns Spur. 
Der Hinweis hinsichtlich der Namensänderung stammt von Familienangehörigen. Ohne ihn hätte man keine Verbindung zwischen Margarethe Cohn und der im Deportierten-Gedenkbuch aufgeführten Margarethe Krohn herstellen und folglich auch keinen Stolperstein für sie verlegen können. 
Über Ida Krohn hatte ihre Enkelin Ingeborg Bothmann in ihren Erinnerungen geschrieben: „Meine Mutter holte Oma oft sonntags und zu den Festtagen nach Wandsbek. Oma war bereits 80 Jahre alt. Wenn meine Mutter sich mit ihr in die Straßenbahn setzte, wurde Oma, die einen ‚Judenstern’ tragen musste, vom Schaffner aufgefordert, auf dem Perron zu stehen. Juden durften in der Bahn nicht sitzen!“ Den entsprechenden Erlass der Gestapo musste der Jüdische Religionsverband im März 1942 bekannt geben.
Obwohl Ida und Margarethe Krohn sich nicht als Juden betrachteten und der jüdischen Gemeinde nicht angehörten, verbrachten sie die letzte Zeit ihres Lebens in sogen. Judenhäusern bzw. jüdischen Einrichtungen. Ida Krohn überlebte die Deportation ihrer Tochter um etwa ein halbes Jahr. Von der Bundesstr. 43 war sie ins jüdische Altersheim Schäferkampsallee 29 verlegt worden, wo sie am 16. Juni 1942 starb. Und weil sie dort versorgt wurde, hat man eine Karteikarte angelegt über Ida Emilie Sara Krohn, geb. Scheuer, geb. am 29.August 1858 in Düsseldorf, und sie so auch verwaltungsmäßig zurückgeführt in den Kreis der jüdischen Hamburger. Ihrer Schicksalsgemeinschaft hatte sie in all den Jahren der Ausgrenzung und Verfolgung ohnehin angehört – bis zu ihrer Beerdigung, als der Familie die Benutzung der Friedhofskapelle auf dem Ohlsdorfer Friedhof verboten wurde. 
Wäre Ida Krohn nicht in Hamburg verstorben, hätte man sie vermutlich einen Monat später nach Theresienstadt deportiert. Das dürfte ihr durchaus bewusst gewesen sein, war es doch ein offenes Geheimnis, dass alte Leute für eine Deportation ins „Altersgetto Theresienstadt“ vorgesehen waren. Zwar starb Ida Krohn letztlich eines „natürlichen“ Todes in Hamburg, doch ein NS-Opfer war sie allemal. Deshalb wurde auch für sie ein Stolperstein verlegt. 
Astrid Louven
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Ida Krohn (Privatbesetz)


 

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Bekleidungsgesschäft Geschwister Korn 1930er Jahre (Privatbesitz)


 

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Mary Pünjer (li.) und Lina Kümmermann (Privatbesitz)


 

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Werbeanzeige im Adressbuch Wandsbek (StaHH)

Lina Kümmermann, geb. Korn, geb. 18.12.1872, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, am 15.5.1944 nach Auschwitz
Ilse Grube, geb. Kümmermann, geb. 10.5.1899, deportiert am 6.12.41 nach Riga, seit 9.8.1944 im KZ Stutthof, dort verstorben 
Mary Pünjer, geb. Kümmermann, geb. 24.8.1904, 1940-1942 Haft im KZ Fuhlsbüttel und KZ Ravensbrück, ermordet in der Tötungsanstalt Bernburg am 28.5.1942


Stolpersteine: Wandsbeker Marktstraße 57 /Ecke Wandsbeker Königstraße (Lübeckerstr. 1/Königstr. 94)

Die drei Stolpersteine vor dem Eckgrundstück im Zentrum Wandsbeks erinnern an Aufstieg und Ermordung der Familie Kümmermann, die an dieser Stelle ein „Spezialhaus“ für Damenkonfektion führte. Das unter dem Firmennamen Geschwister Korn bekannte Bekleidungsgeschäft war in den 40 Jahren seines Bestehens zu einer Institution geworden, wofür ein großer Kundenstamm – auch über die Grenzen Wandsbeks hinaus – und die Persönlichkeit der Gründerin standen.
Die Familie Korn stammte aus einem der von Deutschen und Polen bewohnten Gebiete und ließ sich Ende des 19. Jahrhunderts in Wandsbek nieder: die Geschwister Lina und Oskar (Jg.1880) und deren Vater. 
Lina Korn wurde am 18. Dezember 1872 als Tochter von Ludwig Korn (Jg.1850) und dessen Ehefrau Rosalie, geb. Glass, im oberschlesischen Kattowitz geboren. Sie kam im Mai 1898 nach Wandsbek, wo sie in der Hamburgerstr. 16 gemeldet war. Im August d. J. heiratete sie den Wandsbeker Kaufmann Joel (Julius) Kümmermann; die gemeinsame Wohnung befand sich in der Litzowstr. 19. Der erste Laden lag in der Lübeckerstr. 13, unmittelbar am Wandsbeker Marktplatz; eingetragene Inhaberin war Lina Kümmermann. Am 10. Mai 1899 bekamen die Eheleute Kümmermann ihr erstes Kind, die Tochter Ilse. In den Folgejahren verlegten sie ihr Geschäft in die Hamburgerstr. 6, Geschäftsinhaber war nun der Ehemann. Seit 1906 lebte die Familie im bereits erwähnten Eckhaus unter der Adresse Königstr. 94 II., das ihnen auch gehörte. Die Adresse des Bekleidungshauses lautete Lübeckerstr. 1. Wenige Häuser entfernt wohnte auch Ludwig Korn.
Lina Kümmermann war mittlerweile dreifache Mutter: Außer Ilse hatte sie noch den Sohn Herbert (Jg.1901) und am 24. August 1904 die Tochter Mary geboren. Die gut situierte Familie konnte ihren drei Kindern eine profunde schulische Bildung bieten. Herbert besuchte bis zum Alter von sechzehn Jahren das Matthias-Claudius-Gymnasium. Ilse und Mary waren Schülerinnen der Schneider’schen Höheren Töchterschule; Mary absolvierte anschließend das Wandsbeker Lyzeum, wo sie 1922 die Reifeprüfung ablegte . 
Als Besitzer eines florierenden Unternehmens engagierte sich Julius Kümmermann auch für die Belange der Jüdischen Gemeinde Wandsbek, so als gewählter Deputierter und Kassierer. Er starb 1926 und wurde auf dem Friedhof Jenfelder Straße bestattet. Dort war 1917 bereits sein Schwiegervater Ludwig Korn begraben worden. 
Nach dem Tod des Vaters fungierte der Sohn Herbert Kümmermann neben seiner Mutter als Mitinhaber des Geschäfts. Auch er wirkte in der Jüdischen Gemeinde Wandsbek mit. Er hatte mehrere Jahre in Remscheid und Hamburg verbracht und lebte seit 1921 wieder im Elternhaus. 1930 heiratete er Margot, geb. Michel, mit der er den Sohn Julius (Jg.1931) bekam. Die junge Familie wohnte ebenfalls in der Königstr. 94 II. 
Die Tochter Ilse heiratete den nichtjüdischen Kaufmann Hermann Grube, und wurde Mutter eines Sohnes. Sie lebte mit ihrer Familie in der Manteuffelstr. 22. 
Die jüngere Tochter Mary verbrachte nach der Schulentlassung ein halbes Jahr in Segeberg. Nach einem Vermerk auf der Meldekarte war sie in der „Filiale Niendorf“ tätig; gemeint war vermutlich Niendorf/Ostsee. In dem Badeort könnte sich eine Dependance des Wandsbeker Geschäfts befunden haben, in der Mary Kümmermann während der Sommersaison beschäftigt war. Im November d.J. kehrte sie ins Elternhaus zurück. 1929 heiratete sie nach längerer Verlobungszeit Fritz Pünjer, den sie seit der Schulzeit kannte. Die Verbindung blieb kinderlos. Ihr nichtjüdischer Ehemann hatte die Realschule besucht und eine Lehre in einer Im- und Export-Firma absolviert, war mittlerweile ins Buchmacher-Gewerbe eingestiegen – wo auch sein Vater tätig war – und als behördlich zugelassener Gehilfe bei verschiedenen Buchmachern beschäftigt, die Wetten für Pferderennen vermittelten. 
Mit den Jahren veränderte das Geschäft Geschwister Korn sein Gesicht. Auf einem Foto ist ein zweistöckiges „verschlossen“ wirkendes Gebäude zu sehen, an der Fassade der Schriftzug mit dem Namen des Geschäfts. In den 1930er Jahren muss eine Modernisierung stattgefunden haben, die mit gezielter Beleuchtung mehr „Glanz“ bot, passend zum führenden Bekleidungshaus der Wandsbeker Geschäftswelt in bester Lage – eine Lebensgrundlage, von der eine Trennung kaum vorstellbar erschien. Bis zum Machtwechsel 1933 soll der Jahresumsatz zwischen 300.000 und 400.000 RM betragen haben.
In dieser Zeit gab es einen ersten Hinweis, dass sich die günstige Situation bald verschlechtern sollte: Das Geschäft wurde am 1. April 1933 Opfer des Boykotts jüdischer Einrichtungen. Etwa zwei Jahre später fanden sich Inhabername und Adresse auf dem antisemitischen Hetz-Flugblatt wieder, das in Wandsbek zur Einschüchterung der jüdischen Geschäftsinhaber und Abschreckung der Kunden in Umlauf gebracht wurde. Bis 1938 soll ein Boykottschaden von 120.000 DM entstanden sein; dem Betrag liegen Schätzungen von 1961 zugrunde, die im Rahmen eines Entschädigungsverfahrens vorgenommen worden waren.
Herbert Kümmermann zog die Konsequenzen aus den antijüdischen politischen Verhältnissen und wanderte mit seiner Familie Ende September 1938 über Rotterdam nach Los Angeles aus, wohin 1935 bereits seine Schwiegermutter, Cäcilie Michel, emigriert war. Das Umzugsgut war zwei Wochen vorher von der Zollfahndungsstelle in der Königstr. 94 geprüft worden. „Gegen Umfang u. Zusammensetzung bestehen keine Bedenken“, schrieb der Zollsekretär und setzte die Dego-Abgabe fest. Eine Teilsumme dieser Pflichtabgabe an die Deutsche Golddiskontbank zugunsten der Auswanderung ihres Sohnes wurde von Lina Kümmermann überwiesen. Sie war schon des öfteren finanziell für ihre Kinder eingesprungen. 
In den Tagen des Novemberpogroms 1938 wurde auch das Bekleidungsgeschäft Geschwister Korn angegriffen: Fensterscheiben gingen zu Bruch, Waren fanden sich auf dem Gehweg wieder, die Einrichtung kam zu Schaden. Lina Kümmermann sah sich nach 40 Jahren gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben. Das dürfte ihr sehr schwer gefallen sein, war sie doch bis zuletzt dort anzutreffen, hatte jeden Kunden selbst begrüßt und ihnen die Kleidung mit verkauft. Einst beschäftigte sie drei Verkäuferinnen, eine Näherin und einen Lageristen, wie sich ihr Enkel Julius noch erinnert.
Der Geschäftsfrau blieben zunächst noch das Grundstück und das Haus. Während in den oberen Etagen eine verfolgte Familie lebte, ging unten der Verkauf weiter. Die neue Inhaberin Marie Petersen machte sich im wahrsten Sinne des Wortes daran, ihr Haus zu bestellen. Das begann damit, dass sie den „jüdischen Namen“ tilgte und das Geschäft in „Modenhaus Petersen“ umbenannte. Etwa anderthalb Jahre später hatte sie sich auch das Grundstück angeeignet. Ende 1938 befanden sich in Wandsbek noch 25 Grundstücke in jüdischem Besitz, das entsprach 0,3% der Gesamtzahl aller Grundstücke.
Lina Kümmermann versuchte indessen, ihr Grundstück im Familienbesitz zu halten, indem sie es – zumindest anteilig – ihrem „arischen“ Schwiegersohn übertrug. Eine gute Woche nach dem Novemberpogrom erschien sie am 19. November 1938 auf dem Grundbuchamt Wandsbek und erklärte, ihrem Schwiegersohn, dem Kaufmann Friedrich (Fritz) Pünjer 30.000 RM zu schulden. Für diese Forderung bestellte sie an den Grundstücken eine Gesamthypothek und beantragte die Eintragung ins Grundbuch. Der Hypothekenbrief – so hatte sie verlangt – sei dem Gläubiger auszuhändigen. 
Zeitgleich hatte Fritz Pünjer bei der Devisenstelle eine Vollmacht seiner Schwiegermutter und die Abschrift ihres Vermögensverzeichnisses vorgelegt. Danach verfügte Lina Kümmermann noch über einen Geschäftsanteil von 50% an der OHG Geschwister Korn, die andere Hälfte gehörte ihrem ausgewanderten Sohn Herbert. Fritz Pünjer erhielt den Bescheid, dass seine Forderung nicht mit einer Hypothek gesichert werden könne, denn inzwischen hatte die Devisenstelle das Grundbuchamt ersucht, die Eintragung nicht vorzunehmen. 
Gegen Lina Kümmermann wurde am 25. November 1938 eine Sicherungsanordnung erlassen. Sie konnte über ihren Grundbesitz nur noch mit schriftlicher Genehmigung der Devisenstelle verfügen; nur die Verwendung der Grundstückserträgnisse waren genehmigungsfrei. Die Standardbegründung lautete: „Sie sind Jüdin. Es ist damit zu rechnen, dass Sie in nächster Zeit auswandern werden.“ Daran schloss sich der übliche Verdacht auf Kapitalflucht an, der auf angebliche „nach den in letzter Zeit mit auswandernden Juden gemachten Erfahrungen“ beruhte. 
Im Mai 1939 stellte das Finanzamt Wandsbek gegenüber der Devisenstelle fest, Lina Kümmermann habe die bereits fälligen Raten der Judenvermögensabgabe nicht entrichtet und würde wohl auch die 3. und 4. Rate der Abgabe nicht zahlen können. Weiter hieß es: „Im Interesse der Sicherstellung des Eingangs der vollen Judenvermögensabgabe mache ich auf die Verfügungsbeschränkung über den Grundbesitz der Frau Kümmermann ... Mitteilung.“ Das Finanzamt versuchte mit diesem Hinweis offenbar, die Devisenstelle dazu zu bringen, die Eintragung der Hypothek zu genehmigen. Dann könnte das Grundstück verkauft und mit dem Erlös könnten Lina Kümmermanns Steuerschulden beglichen werden.
Einen aktualisierten Fragebogen über ihr Vermögen hatte diese im Oktober 1939 eingereicht. An Bedarf zum Lebensunterhalt meldete sie 355 RM monatlich an, darin war die Unterstützung für ihre Tochter Mary Pünjer enthalten, deren Ehemann zur Wehrmacht eingezogen war, und für ihre Schwester Frieda Berger, die sich in Berlin in einem Hospital aufhielt. Lina Kümmermann unterschrieb den Standard-Passus: „Ich versichere die Richtigkeit und Vollständigkeit der vorstehend gemachten Angaben“ – und ergänzte ihn selbstbewusst um den Zusatz „nach bestem Wissen“. 
Ihr Antrag, eine Hypothek für Fritz Pünjer eintragen zu lassen, war immer noch nicht entschieden. So hakte sie in einem Schreiben an die Devisenstelle noch einmal nach. „Diesem Antrage ist bisher noch nicht stattgegeben, da die Genehmigung der Devisenstelle noch nicht vorliegt. Mein Vermögen ist hiernach um den Betrag ... (in Höhe von 30.000 RM) zu kürzen.“ 
Erst einmal kürzte die Devisenstelle Lina Kümmermann den beantragten Freibetrag auf 270 RM. Sie legte Beschwerde ein und beantragte stattdessen 50 RM zusätzlich, um ihre Tochter und ihren Schwiegersohn zu unterstützen, wozu sie sonst nicht in der Lage wäre.
Im Januar 1940 kam Bewegung in die Angelegenheit, als die Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe, die für die Grundstücksübertragung zuständig war, der Devisenstelle mitteilte, dass ein Antrag auf Verkauf der im Besitz der Jüdin Lina Kümmermann befindlichen Grundstücke Königstr. 92/94 und Lübeckerstr. 1-3 eingegangen war. Als gemeinschaftliche Käufer dieses erweiterten Eck-Grundstücks fungierten Marie Petersen, der bereits das Geschäft gehörte, und Julius He
se aus Malchow in Mecklenburg. Der Verkauf erfolgte auf Veranlassung des Finanzamtes Wandsbek, das noch 15.500 RM Judenvermögensabgabe einzutreiben hatte. Die Bezahlung dieser und evtl. weiterer Steuerschulden sollte aus dem von der neuen Eigentümerin bar zu zahlenden Teil des Kaufpreises erfolgen. Ohne die Eintragung der Hypothek würde sich der Baranteil um 30.000 RM auf 65.000 RM erhöhen. Da dieser Betrag aber von den Käufern nicht aufgebracht werden konnte, drohte der Verkauf zu scheitern. Ein Verkauf an andere Interessenten wurde als so gut wie ausgeschlossen bezeichnet, weil die jetzigen Kaufinteressenten auch das zum Grundstück gehörende Geschäft übernommen hatten. Bei dieser Gelegenheit hatten sie einen langfristigen Mietvertrag bis 1946 erhalten. Zudem war ihnen ein Vorkaufsrecht auf die Grundstücke eingeräumt worden. 
Nun stand der Eintragung der Hypothek für Fritz Pünjer, der ebenso wie seine Ehefrau und seine Schwiegermutter im gerade verkauften Objekt gemeldet war, nichts mehr im Wege, sie wurde im Mai 1940 vollzogen. Das Finanzamt Wandsbek hatte von Marie Petersen als Sicherheit für die restliche Judenvermögensabgabe und etwaige weitere Steuern den Betrag von 16.000 RM erhalten, wodurch Lina Kümmermanns Steuerschuld abgesichert war. Die neue Eigentümerin war mittlerweile alleinige Käuferin der Grundstücke, da ihr Partner aus dem gemeinsamen Vertrag ausgestiegen war. Im Zusammenspiel behördlicher wie privater Interessen profitierte Marie Petersen, indem sie sich die Notsituation der langjährigen Eigentümerin zunutze machen konnte und das Grundstück in sehr guter Lage an sich brachte.
Doch für Lina Kümmermann war die Angelegenheit noch nicht erledigt. Sie legte Beschwerde bezüglich des Kaufpreises ein, dessen Einheitswert 112.200 RM betrug. Die Schätzungskommission befasste sich mit der Sache. Letztlich belief sich der Kaufpreis auf 115.000 RM. Die Käuferin übernahm die Hypotheken-Schulden von rd. 85.000 RM, darin die Hypothek für Fritz Pünjer. An Lina Kümmermann bar zu zahlen waren 35.100 RM. Diese Summe reduzierte sich nach Abzug von Steuern, Gebühren und Abgaben in Höhe von rd. 21.800 RM, darin rd. 14.900 RM Judenvermögensabgabe, auf rd. 13.300 RM. Das waren lediglich gut 10% (!) des festgesetzten Kaufpreises. Nicht einmal über diesen Betrag durfte Lina Kümmermann verfügen, er wurde vielmehr auf ihr gesperrtes Sicherungskonto bei der Commerzbank, Depositenkasse Wandsbek, eingezahlt. 
Obwohl die einst vermögende Einzelhändlerin Lina Kümmermann im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht hatte, ihren Kontrahenten bei den Verkaufsverhandlungen auf Augenhöhe und nicht wie eine Person minderen Rechts zu begegnen, stand sie am Ende ihres langen Erwerbslebens mit leeren Händen da. 
Nach dem Zwangsverkauf des Grundstücks im Sommer 1940 war es einsam geworden in der Königstr. 94, wo nur noch Lina Kümmermann und ihre Tochter Mary wohnten. Fritz Pünjer war seit September 1939 als Kraftfahrer zum „verstärkten Polizeischutz“ in Polen eingesetzt. Ilse Grube wohnte in Eppendorf. Zwei Jahre vorher lebten noch beide Töchter im Elternhaus, Mary Pünjer mit ihrem Ehemann, die ältere Tochter seit 1937 mit ihrem Sohn Klaus. 
Ilse Grube war Mitinhaberin eines Handelsgeschäfts. Die Geldeinlage war seinerzeit von Lina Kümmermann gestellt worden, ihr Schwiegersohn, Hermann Grube, beteiligte sich damit an der Firma Schatt-Wachler, einer Chemikaliengroßhandlung in Hamburg, Gr. Bleichen 31, die in Schatt-Wachler & Grube umbenannt wurde. Allerdings ließ sich der aufstiegsorientierte Nationalsozialist Hermann Grube von seiner Frau scheiden. Sie verlor damit den Schutz durch die „privilegierte“ Mischehe. Der gemeinsame Sohn Klaus (Jg.1924) hatte im Mai 1933 die Taufe in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Wandsbek erhalten. Als sich die antijüdische Politik infolge der „Nürnberger Rassegesetze“ zuspitzte, verfolgte sein Vater einen Plan, der uns heute besonders makaber erscheint: Er wollte seinen Sohn vorbeugend sterilisieren lassen und ihn auf diese Weise zum vollen „Reichsbürger“ machen. Doch Ilse Grube vertraute den abstrusen Plänen ihres Ex-Mannes und den gesetzlichen Spitzfindigkeiten nicht. Sie setzte Geldmittel zur Bestechung ein, damit sich ihr „halbjüdischer“ Sohn 1938 einem Transport jüdischer Kinder nach England anschließen konnte. Mit der Ausreise des Sohnes war die mittlerweile Geschiedene allerdings nun selbst des letzten Schutzes beraubt, der auf zwei Säulen beruht hatte: der Sorgerechtsverpflichtung für ein minderjähriges Kind unter 18 Jahren und dem Status des rechtlich besser gestellten Sohnes als „Mischling 1. Grades“. Ilse Grube zählte vor Ämtern und Institutionen nun wieder als „Volljüdin“ und wurde wie eine solche behandelt. 
Im April 1939 hatte sie eine Vermögensaufstellung bei der Devisenstelle einzureichen. Danach gehörte ihr noch das Haus Schimmelmannstr. 23; darüber hinaus verfügte sie nur über geringe Geldmittel, so dass eine Sicherungsanordnung vorerst nicht erlassen wurde. Folgende Erklärung legte sie bei: „Auf Konto meines Jungen legte ich 1000 RM. Von dem Geld muss ich noch 900 RM Juden-Kontribution bezahlen“.
Ihr Grundstück wurde bis Ende 1940 verkauft und an einen H. Hövermann veräußert, wobei der ursprüngliche Kaufpreis von 28.000 RM auf den Einheitswert von 20.000 RM reduziert worden war. Der nach Abzug von Steuern und Abgaben verbliebene Reinertrag von 8000 RM ging als Baranteil auf Ilse Grubes gesperrtes Konto bei der Hamburger Sparkasse von 1827 in Wandsbek, über das sie nur mit Genehmigung der Devisenstelle verfügen konnte. Eine Sicherungsanordnung wurde nun auch erlassen. Den monatlichen „Freibetrag“ wie auch jede kleine Sonderausgabe musste sie sich genehmigen und bewilligen lassen. Ihren Antrag reduzierte die Devisenstelle auf 250 RM. Sie zog ihr die Einkünfte aus einer stundenweise Beschäftigung als Privatsekretärin bei ihrem (vermutlichen) Verwandten Hermann Glass ab. Die von ihr am 3. Dezember 1941 angeforderten 300 RM für sich selbst „zum Zwecke der bevorstehenden Evakuierung“ erhielt sie dagegen am selben Tag persönlich ausgehändigt.
Ilse Grube wohnte seit dem 1. Juni 1940 in Eppendorf, Haynstr. 13 ptr. bei Eller. Sie hatte offenbar einen Großteil ihrer Möbel und ihres Hausrats bei sich, wie aus einem Brief hervorgeht, den sie zwei Tage vor der Deportation an ihren früheren Ehemann schrieb, um Angelegenheiten zur finanziellen Versorgung des gemeinsamen Sohnes mitzuteilen. „Lieber Hermann, vielleicht hast Du gehört, dass der Transport um 1 Tag verschoben wurde u. ich hatte recht gedacht, dass sich inzwischen etwas Günstiges ereignen würde. Morgen früh 11 Uhr muss ich erscheinen u. den nächsten Morgen werden wir ‚verladen“; ich hoffe noch bis zum letzten Augenblick.“ Sie wartete auf eine die Deportation aufschiebende Entscheidung aus Berlin und hoffte immer noch, in die USA auswandern zu können. Der Brief gab ihr auch die Gelegenheit, die Trennung von ihrem Sohn zu thematisieren. „Wer weiß, wie lange ich nun vom Jungen nichts höre, gestern habe ich ihm einen Roten-Kreuz-Brief geschrieben, hoffentlich hat er ihn zu Weihnachten oder erst zum Geburtstag. Meinen Bruder bat ich, nichts von mir Klaus gegenüber zu erzählen, damit er nicht beunruhigt wird; es wäre ja sonst nicht auszudenken. Falls ich doch bleiben kann, teile ich es Dir mit.“ 
Doch Ilse Grube erhielt keinen Aufschub. Ihre „Evakuierung“ – wie die Deportationen verschleiernd genannt wurden – war längst beschlossene Sache, denn die Devisenstelle hatte ihr Vermögen bereits Ende November 1941 eingezogen. 
Der Zug nach Riga fuhr am 6. Dezember ab. In das dortige Getto konnten die Hamburger jedoch nicht gebracht werden, Erschießungskommandos waren noch dabei, die derzeitigen Bewohner zu ermorden. So wurden sie zum nahe gelegenen Stadtgut Jungfernhof verbracht. Dort hausten sie mit später Eingetroffenen in Viehställen und Baracken, waren Hunger und Kälte schutzlos preisgegeben. Im März 1942 wurden noch etwa 2000 Überlebende im unweit von Jungfernhof entfernten Hochwald erschossen. Wenige Hamburger waren inzwischen ins eigentliche Getto von Riga gelangt, unter ihnen muss sich auch Ilse Grube befunden haben. Im Sommer 1944 räumte die SS wegen der vorrückenden sowjetischen Armee dann dieses Getto und verlegte die Häftlinge ins KZ Stutthof bei Danzig. Bald war auch dieses Lager überfüllt; die Häftlinge wurden Richtung Deutschland in Marsch gesetzt. Ilse Grube, am 9. August 1944 in Stutthof eingetroffen, befand sich nicht mehr unter ihnen. Ihr Todesdatum ist nicht überliefert. 

Kehren wir noch einmal in die Königstr. 94 zurück. Im Sommer 1940 lebte die 35jährige Mary Pünjer mit ihrer Mutter zusammen in dem Haus, das der Familie nicht mehr gehörte. Das Gefühl, in der Falle zu sitzen, der beklemmenden Kontrolle durch eine unberechenbare Nachbarschaft wie einer brutalen Sondergesetzgebung mit Berufsverbot und nächtlicher Ausgangssperre ausgesetzt zu sein, hat vermutlich einen starken Wunsch nach Zerstreuung bewirkt. Warum eigentlich nicht mit der Straßenbahn in die Stadt fahren? Das hat Mary Pünjer vermutlich (des Öfteren) getan und – nicht nur für Juden – verbotene Lokale besucht, darunter auch solche, in denen ausschließlich Frauen verkehrten. Ob sie sich dort aufhielt, weil sie lesbisch war oder sich in der subkulturellen Szene sicherer vor Entdeckung fühlte, sei dahin gestellt. Am Abend des 24. Juli 1940 wurde Mary Pünjer verhaftet. Sie verbrachte fast drei Monate im Fuhlsbütteler Polizeigefängnis. Am 12. Oktober 1940 wurde sie ins Frauen-KZ Ravensbrück überstellt. Die Zugangsliste verzeichnete als Haftgrund „asozial“; unter Bemerkungen war „lesbisch“ eingetragen. Die „Tochter aus gutem Hause“ fand sich mit dem schwarzen Winkel gekennzeichnet wieder, der auf den Jacken der KZ-Häftlinge befestigt war. Das Symbol für Herumtreiberei, nicht konforme, meist arme Familienverhältnisse stigmatisierte sogen. Gemeinschaftsfremde. Wenn Mary Pünjer auch nicht in diese Kategorie gehörte und lesbische Beziehungen nicht unter Strafe standen wie männliche Homosexualität, so war sie nicht minder geächtet. Liebesbeziehungen zwischen Frauen widersprachen dem NS-Ideal von der Frau als vielfacher Mutter und stellten im Sinne der NS-Ideologie „asoziales“, nicht auf die Erhaltung der „Volksgemeinschaft“ ausgerichtetes Verhalten dar. Dass lesbische Frauen unter dem Vorwand der „Asozialität“ in Konzentrationslager eingeliefert wurden, ist durch Forschungen belegt. Die Frauen, denen sogen. sexuelle Vergehen, u.a. wegen Prostitution, Abtreibung, sogen. Rassenschande vorgeworfen wurden oder die als „Lesbierinnen“ – wie die damalige Bezeichnung lautete, galten, wurden im KZ Ravensbrück inhaftiert. Innerhalb der Häftlingshierarchie dort waren jüdische Frauen allgemein schlechter gestellt. Sie erhielten verminderte Rationen und keine ausreichende Versorgung im Krankenrevier. Oftmals lebten sie abgesondert von Gefangenen anderer Kategorie in überbelegten Baracken unter katastrophalen Verhältnissen. Die Zwangsarbeit, die sie zu leisten hatten, war durchweg von maximaler Gewaltanwendung und körperlicher Auszehrung geprägt. Wir wissen nicht, welche Arbeit Mary Pünjer leisten musste, nur die Zu
angsliste mit ihrem Namen und ein Foto in Häftlingskleidung ist im Ravensbrücker Archiv erhalten. 
Zwischen Ende November 1940 und Mitte März 1941 wurde Mary Pünjer wieder den Hamburger Polizeibehörden überstellt und musste sich Verhören unterziehen, u.a. durch das Kriminalkommissariat 23, zuständig für sexuelle Delikte. Am 15. März 1941 wurde sie nach Ravensbrück zurückgebracht. Im November 1941 nahm dort ein Arzt seine berüchtigte Tätigkeit auf: Dr. Friedrich Mennecke war SS-Obersturmbannführer und im Rahmen der 1941 angelaufenen „Aktion 14 f 13“ eingesetzt. Danach waren jüdische Häftlinge aus den KZs zu entfernen, d.h. zu töten. Im Januar 1942 kam er ein zweites Mal nach Ravensbrück. Seine Meldebögen mit „Diagnosen“, die Todesurteilen gleichkamen, sind erhalten, darunter auch der Meldebogen über Mary Pünjer. Er schrieb über sie: „...verheiratete Volljüdin. Sehr aktive (‚kesse') Lesbierin. Suchte fortgesetzt ‚lesbische Lokale' auf u. tauschte im Lokal Zärtlichkeiten aus." Diese Formulierung lässt darauf schließen, dass sie in einem Lokal festgenommen wurde. Was Mennecke betraf, so selektierte er die jüdischen Häftlinge nur nach Aktenlage und verfasste seine Charakterisierungen auf Basis bereits vorhandener Einträge in den Kripo- bzw. Schutzhaftakten. Das würde bedeuten, dass die Hamburger Kripo oder Gestapo die Instanz gewesen war, die Mary Pünjer als lesbisch eingestuft hatte. An dieser Stelle bleibt zu fragen, ob sie wirklich lesbisch war oder von Hamburger Dienststellen lediglich dafür gehalten wurde. Die von Mennecke ausgewählten Frauen hatten keine Möglichkeit, ihrer Ermordung in der Heil- und Pflegeanstalt Bernburg zu entgehen. Gab es eine verborgene Andeutung von Mary Pünjer, die sich auf die Selektionen Menneckes und die Verlegungen in die Tötungsanstalt Bernberg bezog? Ein Passus in ihrem Dezember-Brief 1941 über die Deportationen aus Hamburg lautet: „Ich glaube, ich gehe bald den Weg, den viele Hamburger jetzt gingen!“ In ihren anderen Briefen an ihre Angehörigen kam sie nicht mehr darauf zurück. Vier dieser Briefe sind erhalten. Wahrscheinlich hat Mary Pünjer noch weitere geschrieben. Ein einzelner Briefumschlag aus Ravensbrück vom 30. August 1941 verweist darauf. Vermerkt war darauf auch, dass sie zu diesem Zeitpunkt in Block 14a untergebracht war. Pro Monat durfte sie nur einen Brief bzw. eine Karte erhalten und schreiben, umso wichtiger war jede einzelne Sendung. Anzahl der Seiten und Zeilen waren vorgeschrieben und unterlagen der Zensur. 
Die ersten beiden hier zitierten Briefe von Juli 1941 und November 1941 richtete sie ebenso an Fritz Pünjer wie den Januar-Brief 1942. Der Dezember-Brief 1941 ging an ihre Mutter. Die Briefe zeigen Mary Pünjers Zwiespalt zwischen Hoffnung und düsteren Ahnungen, die Sorge um die Daheimgebliebenen und deren häusliche Angelegenheiten. Der Wunsch nach Nähe zu ihrem Mann wird deutlich; zwischen den Zeilen finden sich auch immer wieder Hinweise, er möge doch der Schwiegermutter Gesellschaft leisten, und damit in den familiären Rahmen eingebunden bleiben. Dahinter stand vermutlich die Angst, er könnte sich scheiden lassen, was ihren Status als Jüdin in „privilegierter Mischehe“ de facto weiter verschlechtert und negative Auswirkungen auf ihren psychischen und körperlichen Zustand als KZ-Gefangene gehabt hätte. 

(Juli 1941)
Lieber Fritz! Eure Briefe erhalten. Bin gesund, sei nicht beunruhigt! Hauptsache ist, dass Ihr schreibt, und zwar nicht so selten! Nächsten Monat wahrscheinlich wieder ganzen Brief! Hoffentlich seid Ihr gesund! In Gedanken bin ich bei Dir u. hoffe immer noch! Herzliche Grüße an Mutter. 
Innige Grüße Mary
(Nächsten Monat wahrscheinlich wieder ganzen Brief! Möglicherweise war Mary Pünjer im Rahmen einer Strafmaßnahme zeitweise vom regulären Postverkehr ausgeschlossen A.L.)

(November vermutlich 1941)
Mein lieber Fritz!
Habe Deinen Brief u. RM 20,-- erhalten, vielen Dank!
Schön, daß Du Mantel u. Anzug machen lässt. Hoffentlich bist Du u. Mutter gesund u. habt genug zu essen! Hoffentlich bist Du inzwischen bei Tante Frieda gewesen? Ich freue mich, dass Ihr Papa’s Geburtstag so schön gefeiert habt; ich bin froh, wenn es Euch gut geht! Einmal muss ja auch für mich der Tag der Freiheit kommen, aber hoffentlich / (Seitenende A.L.)
Hoffentlich geht Mutter auch jetzt noch viel mit Fuchsi spazieren, sie tut mir so leid, aber solche Nebensächlichkeiten können u. dürfen uns nicht erschüttern!
Hier ist schon Winter, hoffentlich habt Ihr genug Feurung?
Ist Frl. Petersen nun alleinige Hausbesitzerin?
Mama könnte mir auch mal schreiben, sonst denke ich, dass sie mich vergessen hat!
Was ist mit dem Wagen? Verkaufe ihn, damit Brockmann sein Geld zurückbekommen kann, oder ist das inzwischen erledigt? Sogar hier denke ich an all dieses! 
Peterle, wann sind wir nur wieder glücklich zusammen? Bald erwarte ich Mutter’s Brief.
Trink doch morgens mit ihr den Kaffee! Herzlichst Deine Mary
(Papa, vermutlich ihr Schwiegervater A.L.)
(Fuchsi, vermutlich ein Hund. Haustiere zu halten, war Juden noch nicht verboten. A.L.)
(Tante Frieda, gemeint war wohl Frieda Berger, die Schwester ihrer Mutter A.L.)
(Frl. Petersen, Marie Petersen, s.o. A.L.)

(Dezember 41)
Liebste Mutter!
Für Deinen November-Brief vielen Dank, Fritz’s Brief habe soeben erhalten. Bin froh, dass er noch an mich denkt. Habe mir schon viel Sorgen um Dich gemacht; denn ich habe allerhand von Hamburgern gehört. Nun bin ich beruhigt, da ich weiss, dass Du gesund zu Hause bist.
Hoffentlich bleibt auch Ilse verschont; trotzdem es soll nicht das Schlimmste sein!
Liebe Mutter, wünsche Dir schon heute z. Geburtstag Gesundheit, Zuversicht u. Ausdauer! Ich glaube, ich gehe bald den Weg, den viele Hamburger jetzt gingen! Mein einziges Hoffen ist, bald wieder bei meinem Fritz zu sein! Bin 16 Monate von zu Hause fort. Fährt Fritz noch mal wieder zu Tante Frieda?
Er schreibt nicht darüber, ob überhaupt noch Hoffnung besteht. Päckchen darf ich nicht empfangen, schickt dafür im nächsten Brief eine Ansichtskarte von Lübeckerstr. 1. Ansichtskarten sind gestattet!
Hoffentlich bist Du Weihnachten mit Fritz wieder bei seinen Eltern! Sei Du, sowie mein geliebter Fritz innigst gegrüsst! Mary
(Lübeckerstr. 1, das Geschäfts- und Wohnhaus in Wandsbek A.L)
(... bleibt Ilse verschont. Vermutlich, dass ihre Schwester von der Deportation verschont bleiben möge. A.L.)
(„...den Weg, den viele Hamburger jetzt gingen. Vermutlich sind die vier Deportationen Hamburger Juden nach Lodz, Minsk und Riga – Oktober bis Dezember 1941 – gemeint. A.L.)
(Tante Frieda, gemeint war wohl Frieda Berger, die Schwester ihrer Mutter A.L.)

(Januar 1942)
Mein lieber Fritz!
Hoffentlich hast Du u. Mutter die Feiertage angenehm erlebt! Ich habe natürlich immer an zu Hause gedacht, vor 2 Jahren haben wir zuletzt zusammen Sylvester gefeiert u. waren noch glücklich! Ob es jemals wieder so wird?
Soeben wurde die Post verteilt u. wieder war nichts für mich dabei, vor einem Monat hatte ich den letzten Brief von Dir, von Mama habe Brief erhalten!
Auch von Mutter höre ich nichts; deswegen bin ich wieder sehr verzagt! ... (Passagen durch Zensor herausgeschnitten A.L.)... Zeit?
Mit welchen Leuten kommst Du zusammen? Hoffentlich bist Du auch manchmal gemütlich mit Mutter zusammen! Trotzdem ich nun schon 17 Monate von zu Hause fort bin, denke ich täglich an Dich, an Mutter, an unser schönes Heim. Hoffentlich sehen wir uns bald dort alle wieder! Aber Du schreibst so selten, so dass ich wieder Zweifel habe an allem!
Sei Du u. Mutter herzlich gegrüsst! Deine Mary
(Mama, evtl. die Schwiegermutter A.L.) 

In einem Warschauer Archiv existieren von damaligen Ravensburger Häftlingen geführte bzw. abgeschriebene Listen, aus denen hervorgeht, dass Mary Pünjer am 28. Mai 1942 im Rahmen einer Selektion in der Tötungsanstalt Bernburg bei Dessau mit Gas ermordet wurde. Fragen bleiben: Wenn Mary Pünjer spätestens im Januar 1942 von Mennecke zur Selektion ausgewählt wurde, warum datiert der Tag ihres Todes auf den 28. Mai 1942? Kann es sein, dass sie zwar begutachtet wurde, aber vorerst noch nicht getötet werden sollte aus Rücksicht auf ihren nichtjüdischen Ehemann? Gab es andere Gründe?
Die Kategorie „Schwarzer Winkel“ hatte sie ins KZ gebracht, nicht ihr Jüdisch-Sein. Der Schutz, den eine „privilegierte“ Mischehe vor der Deportation bot, erlosch, wenn ein Jude bzw. eine Jüdin kriminalisiert worden war. Zwei Tage nach Mary Pünjers Tod bekam der Ehemann von der Kripo Hamburg die Benachrichtigung mit dem Hinweis: „Die Urne kann auf eigene Kosten von den Angehörigen ... angefordert werden.“ Fritz Pünjer veranlasste dieses. Es dauerte jedoch drei Monate, bis es zur Beisetzung kam. Am 3. September 1942 sandte der Jüdische Religionsverband ein Schreiben an die Wandsbeker Adresse: „Ihrem Wunsche entsprechend werden wir die Beisetzung der Aschenreste am Freitag dieser Woche nachmittags 4 Uhr vornehmen.“
Lina Kümmermann konnte an der Beisetzung auf dem Friedhof Jenfelder Straße, wo auch eine Grabstelle für sie selbst reserviert war, nicht mehr teilnehmen. Sie hatte ihr Haus inzwischen verlassen, sich am 27. April 1942 von der Königstr. 94 abgemeldet und Quartier in dem sogen. Judenhaus Bundesstraße 43 beziehen müssen. Dort hielt sie sich noch etwa sechs Wochen auf. Am 15. Juli 1942, im Alter von 70 Jahren, musste sie den Zug nach Theresienstadt besteigen, wo sie einen Tag später registriert wurde. Wie sie in dem überfüllten „Altersgetto“ zurechtkam, das alles andere als beschaulich war, ist nicht überliefert. Für viele war es Sterbeort, für viele Durchgangsstation in die Vernichtungslager. So auch für Lina Kümmermann. Sie wurde am 15. Mai 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert. Dort verlor sich ihre Spur. 1951 wurde sie für tot erklärt. 

Mary Pünjer ist von allen jüdischen Wandsbeker Deportierten die einzige, die in einem Grab beigesetzt wurde. Die Grabstelle ist jedoch ebenso wenig auffindbar wie die ihres Vaters bzw. Onkels; die Gräber wurden vermutlich während des Krieges bei Planierungsarbeiten auf dem Friedhof zerstört. Heute erinnern Bodenplatten mit Namen und Daten an die drei Verstorbenen.
Mary Pünjers Briefe waren einem Antrag beigefügt, den Fritz Pünjer 1947 eingereicht hat. Auf ihn hatte die Verhaftung seiner Frau im Juli 1940 möglicherweise Auswirkungen, vielleicht waren seine Vorgesetzten dadurch darauf aufmerksam geworden, dass hier ein „jüdisch Versippter“ diente. Er wurde im September 1940 vom Kriegseinsatz in die Königstr. 94 II. entlassen und nahm eine Tätigkeit als Schreiber bei dem Buchmacher Brockmann auf. Im Juli 1942 wurde er wieder als Buchmachergehilfe zugelassen – nach der Deportation seiner Schwiegermutter und einen Monat nach dem Tod seiner Frau. Er heiratete Ende 1943 wieder und wurde im Sommer 1944, nun nicht mehr „jüdisch versippt“, wieder zur Wehrmacht eingezogen. Im Februar 1945 geriet er in britische Kriegsgefangenschaft. Im November 1947 wurde er entlassen. Zurück in Hamburg stellte er einen Antrag bei der „Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen“. Darauf gab er als Grund für die Inhaftierung Mary Pünjers allein „rassische“ Gründe an und charakterisierte die Ehe als harmonisch. 
Der ausgewanderte Sohn von Ilse Grube nahm die britische Staatsangehörigkeit an und nannte sich Clive Graham. Er wurde Kriegsteilnehmer, arbeitete beim britischen Nachrichtendienst, wurde Referent für Spionageabwehr und lebte jahrelang als Angehöriger der Rhein-Armee in Bonn. Er heiratete dreimal, hatte zwei Söhne. Er starb 1996 mit 72 Jahren in Österreich. Er hat Ilse Grube, seine Mutter, nicht mehr wiedergesehen. Nach Kriegsende nahm er Kontakt zu seinem Vater auf, brach ihn aber wieder ab. Hermann Grube hatte 1941 wieder geheiratet. Nach dem Bericht von Clive Grahams Witwe soll er sehr unter dem Kontaktabbruch durch Klaus gelitten haben, der ihn für den Tod der Mutter verantwortlich machte, da er sich hatte scheiden lassen. Wie das Beispiel Mary Pünjers zeigte, bot eine „Mischehe“ allein zwar keinen absoluten Schutz vor Deportation oder Selektion. Doch ein Festhalten an der Verbindung hätte Ilse Grube nicht nur das Getto Riga und das KZ Stutthof erspart, vielmehr wäre sie wahrscheinlich kurz vor Kriegsende nach Theresienstadt deportiert worden und hätte vermutlich überleben können. Das konnten die Beteiligten zum Zeitpunkt der Scheidung jedoch nicht wissen. Ilse Grube wurde auf Ende 1945 für tot erklärt, 

Das Modenhaus Petersen existierte bis Anfang der 1990er Jahre. Die damalige Inhaberin und Nachfolgerin von Marie Petersen war 1988 anlässlich des 50jährigen Bestehens des Geschäfts nicht bereit, Auskunft zu geben über die Vorgänge der einstigen „Arisierung“ bzw. über die Nachfolgerin von Lina Kümmermann. Das Schweigen aus kollegialer Loyalität fiel leichter als das Sprechen über Geschehnisse, die mit einem Tabu belegt waren, stand am Ende der finanziellen Ausplünderung durch die Nutznießerin Petersen doch die Ermordung der einstigen Geschäftsgründerin und ihrer Töchter durch den NS-Staat. 

Dem in Kalifornien lebenden Julius Kumerman verdanken wir die Fotos aus Familienbesitz. 

Astrid Louven

English version 
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Bild entfernt.Bild entfernt.
Ilse Grube (re) mit Sohn und Ehemann (Privatbesitz)

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