Stolpersteinbiografien L-S

Hermine Leib, geb. Kahn, geb. 28.4.1887, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz 

Stolperstein: Claudiusstieg 6 (Klopstockstr. 6)

Hermine Leib gehörte zu den wenigen Personen, die von ihrer Wandsbeker Adresse aus deportiert wurden. Dabei war sie keine alteingesessene Einwohnerin, sondern hielt sich nur für kurze Zeit in Wandsbek auf. Sie gehörte zur kleinen Gruppe allein stehender Frauen, die sich ab Mitte der 1930er Jahre von kleineren Städten aus der Provinz nach Hamburg aufgemacht hatten. Einige mochten hier (entfernte) Verwandte gehabt haben, doch in erster Linie suchten sie in der Großstadt neben einem größeren Schutz vor antisemitischen Übergriffen auch bessere Existenzbedingungen, seien es Berufsmöglichkeiten oder Unterstützungsleistungen durch die jüdische Gemeinschaft.
Hermine Leib wurde am 28. April 1887 in Grevenmacher im Großherzogtum Luxemburg als Tochter des gut situierten jüdischen Viehhändlers und Grundbesitzers Isaak Kahn und seiner Ehefrau Julie, geb. Loeb geboren. Ihre Großmutter mütterlicherseits besaß ein Kolonialwarengeschäft. Die Familie stammte aus Deutschland, lebte jedoch in Luxemburg. 
Hermine Kahn besuchte eine höhere Schule, verließ Luxemburg und erlernte den Beruf der Modistin. Sie war jahrelang in Barmen im Putzgeschäft Fleischhacker tätig, wo Hüte hergestellt und verkauft wurden. Dort arbeitete sie als Modistin und Verkäuferin. 
Sie blieb bis zu ihrer Heirat im Jahre 1912 berufstätig. Ihr Ehemann, Gottfried Leib, besaß in (Wuppertal-)Barmen, Dickmannstr. 25, eine Damenschneiderei. Zwischen 1912 und 1914 bekamen die Eheleute drei Kinder: Irene (Jg.1912), Helmut (Jg.1914) und Günther (Jg.1919). Gottfried Leib diente im Ersten Weltkrieg als Soldat. Seine Ehefrau versuchte in dieser Zeit, das Geschäft allein weiterzuführen, konnte es jedoch nicht halten. Nachdem sie 1921 Witwe geworden war – Gottfried Leib war an den Folgen einer im Krieg erlittenen Verwundung verstorben –, nahm sie ihre Tätigkeit im Putzgeschäft Fleischhacker wieder auf, zunächst als Verkäuferin und später auch als Kassiererin. Zudem hatte sie sich Büro-Qualifikationen angeeignet. Da sie über eine höhere Schulbildung und perfekte Französischkenntnisse verfügte, wechselte sie ihre Arbeitsstelle und nahm eine Tätigkeit als Fremdsprachenkorrespondentin bei der Firma Leonhard Tietz an. Diese Position übte sie jahrelang aus, bis sie sich Ende 1932 einer schweren Operation unterziehen musste. Als sie wieder arbeitsfähig war, regierten bereits die Nationalsozialisten. Hermine Leib konnte wegen ihrer jüdischen Herkunft keinen adäquaten Arbeitsplatz mehr finden. So handelte sie als Selbständige mit Butter, Eiern und anderen Lebensmitteln, wobei sie fast ausnahmslos auf jüdische Kundschaft angewiesen war, bis sie ihre Tätigkeit wegen fehlender Einnahmen schließlich aufgeben musste.
1935/36 wanderten die drei Kinder nach Palästina aus. Auch Hermine Leib wollte nicht mehr am alten Wohnort leben und wäre ihnen gern gefolgt. Doch erst einmal mussten sie in Palästina Fuß fassen, bevor sie ihre Mutter nachkommen lassen könnten. Nachdem sich eine Rückkehr nach Luxemburg als nicht durchführbar erwiesen hatte, wandte Hermine Leib sich an einen Verwandten in Hamburg, der sich bereit erklärte, sie vorerst aufzunehmen. Nun galt es, ihre gut eingerichtete 4-Zimmer-Wohnung, Dickmannstr. 25, aufzulösen. Sie sah sich gezwungen, Hausrat und Mobiliar zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Die wertvolleren Teile konnte sie schließlich im Haus der Synagoge unterstellen und hoffte, sie später abholen zu können. (Das Mobilar ging infolge des Pogroms vom 9. November 1938 jedoch verloren.) 
Ohne selbstständigen Haushalt zog sie mit nur wenigen Sachen zum persönlichen Gebrauch zu ihrem Verwandten Jakob Loeb in die Dillstr. 1 im Grindelviertel. Sie trat in die Deutsch-Israelitische Gemeinde ein und schloss sich am 18. Februar 1936 dem Kultusverband der konservativen Neuen Dammtor Synagoge an. Ihr Einkommen war so gering, dass sie meistens keine Gemeindesteuer entrichten musste. Ab Mitte Mai 1941 erzielte sie lediglich Einnahmen in Höhe von 40 RM bei freier Station, wohl das Entgelt ihrer Arbeit im Altenheim. 
Während der Hamburger Jahre stand sie über Rot-Kreuz-Briefe mit ihrer Tochter Irene in reglementiertem Kontakt. Die kurzen Mitteilungen zeigen, dass sie in dieser Zeit ständig umziehen und sich immer wieder neue Beschäftigungen suchen musste: Im Juni 1936 nahm Hermine Leib eine Stelle als Hausangestellte in der Rabenstr. 15 an. Danach war sie bei Dr. Bukschnewski, Gröningerstr. 6 II. tätig. Vom 1. Juli 1939 bis September 1941 arbeitete sie in der Schäferkampsallee 29, dem jüdischen Alten- und Siechenheim, wo sie bis Mai 1941 auch wohnte. Von ihrer neuen Adresse Hochallee 123 bei Herz (seit 17. Mai 1941), konnte sie ihren Arbeitsplatz zu Fuß erreichen. Das war unerlässlich, da Juden keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen durften.
Ab 3. September 1941 war sie dann in Wandsbek gemeldet. Warum sie in das Haus Klopstockstr. 6 kam, ist nicht bekannt. Möglicherweise bestanden durch ihren inzwischen emigrierten und ausgebürgerten Verwandten Leopold Leib noch Verbindungen zur Wandsbeker Gemeinde. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die jüdische Wohlfahrt Hermine Leib in die Klopstockstraße schickte, um die dort wohnhafte Familie Pohl zu unterstützen. Insbesondere auf der unverheirateten Tochter Hedwig lasteten alle Pflichten wie Haushaltsführung, Betreuung und Versorgung der alten Eltern, dem gelähmten Geheimrat Prof. Dr. Julius Pohl und seiner bettlägerigen, pflegebedürftigen Ehefrau Hedwig (s. Kap. Pohl). Die Familie war zwar katholischer Konfession, fiel jedoch unter die NS-„Rassegesetze“, gehörte zwangsweise dem Jüdischen Religionsverband an und musste auch Gemeindesteuern entrichten. Die Tochter Hedwig Pohl war dringend auf Unterstützung angewiesen, die Hermine Leib nun leistete. 
Doch sie konnte nicht lange bleiben. Nach etwa sieben Wochen erhielt sie den Deportationsbefehl in der Klopstockstraße. Am 25. Oktober 1941 musste sie mit etwa 1000 anderen den Zug nach Lodz besteigen, der das Getto einen Tag später erreichte. Dort wurde sie am 27. Oktober registriert. Sie war jetzt 54 Jahre alt. Weitere Transporte in das Getto folgten, das mit ca. 150.000 Bewohnern bald überbelegt war. Ab Januar 1942 wurden die Gettobewohner sukzessive in die Vernichtungslager Chelmno und Auschwitz (1944) weiterdeportiert. Wo und wie Hermine Leib den Tod fand, ist ungewiss. Sie wurde rückwirkend auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt. 
Über die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem konnte ich Hermine Leibs jüngsten Sohn in Israel ausfindig machen. Kontakte zu dessen Tochter haben es ermöglicht, dass dieses Kapitel durch ein Foto von Hermine Leib illustriert werden kann. 
Astrid Louven
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Hermine Leib (Privatbesitz)


 

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H. Leidersdorf arbeitete als Referendar und Lehrer an der T-T-Realschule am Grindelhof in Hamburg.

Adele Leidersdorf, geb. Heymann, geb. 22.1.1878, deportiert am 6.12.1941 nach Riga
Heinz Leidersdorf, geb. 26.2.1906, 1935-36 Haft im KZ Fuhlsbüttel, 1937-1943 Haft im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen, am 14.1.1943 deportiert nach Auschwitz, dort ermordet am 18.2.1943

Stolpersteine: Grubesallee 21 (Rahlstedt)

Adele Leidersdorf stammte aus Essen, wo sie am 22. Januar 1878 als Tochter von Julius und Regina Heymann geboren wurde. 1927 lebte sie mit ihrem Ehemann, dem Kaufmann Hugo Leidersdorf (Jg.1867), in der Wilhelmstr. 71 in Rahlstedt. Ihr ältester Sohn war im Ersten Weltkrieg gefallen, der Sohn Heinz lebte bei den Eltern. 1928 erwarben diese das Haus in Altrahlstedt, Grubesallee 21. Das Grundstück hatte dem Maurermeister Conrad Salow gehört und wurde nun auf Adele Leidersdorf als Käuferin übertragen.
Ende 1933 beging ihr Ehemann Suizid. Hugo Leidersdorf, Träger des Ehrenkreuzes für seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg, hatte finanzielle Rückschläge aufgrund der Wirtschaftskrise und eine seelische Krise, die vermutlich auch mit dem politischen Machtwechsel zusammenhing, nicht verkraftet. Die wirtschaftliche Situation der Witwe war fortan prekär, so dass sie von ihrem Sohn unterstützt werden musste. Als dieser verhaftet wurde, entfielen seine Versorgungsleistungen jedoch, und die jüdische Wohlfahrt musste einspringen.
Heinz Leidersdorf trat für seine politische Überzeugung ein und wurde dafür verurteilt. Doch zu Tode kam er nicht durch ein Gerichtsurteil, er wurde in ein Vernichtungslager deportiert, weil er Jude war. 
Am 26. Februar 1906 in Neuhaus an der Elbe geboren, besuchte er dort die Volks- und Höhere Privatschule. Ab 1918 wechselte er auf das Gymnasium in Lübeck und vier Jahre später auf das Gymnasium in Lüneburg, wo er 1924 das Reifezeugnis erhielt. Anschließend studierte er Biologie und Chemie an den Universitäten Köln, Marburg und Hamburg. 
1928 trat er in die KPD ein und wurde 1931 Mitglied der „Roten Studentengruppe“ der Hochschule Hamburg. Im Laufe des Jahres schloss man ihn wegen kritischer Positionen aus der Partei aus. Er wandte sich 1932 der Trotzki-Gruppe zu, die sich 1928 von der KPD abgespalten hatte und auf den Stalin-Kritiker Leo Trotzki bezog. Dessen politische Positionen und Werdegang sprachen Leidersdorf an. Trotzki war aus dem Politbüro und aus der KPdSU ausgeschlossen und mit anderen Oppositionellen verbannt und des Landes verwiesen worden. Gerade hatte die Sowjetunion ihm die Staatsbürgerschaft aberkannt und seine Verfolgung durch den sowjetischen Geheimdienst angeordnet. 
Heinz Leidersdorf gehörte neben Erich Kohn und Georg Jungclas bald zu den führenden Mitgliedern der Trotzki-Gruppe. 
Das Jahr 1933 brachte außer dem Machtantritt der Nationalsozialisten weitere einschneidende Veränderungen mit sich. Leidersdorf schloss sein Studium der Biologie und Chemie ab. Seine illegale politische Arbeit führte am 25. Juli 1933 zu seiner Festnahme. Er wurde wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Betätigung in sogen. Schutzhaft genommen, die er im KZ Fuhlsbüttel (Kolafu) verbrachte. 
Ein Mitgefangener, Curt Bär, Mitglied des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) berichtete Ende der 1970er Jahre von dieser Zeit: „Da saßen wir drei Politischen also zunächst in einer Art Vorbeugehaft in einer Zelle im Kolafu; noch hatten wir alle drei ja nichts Illegales verbrochen. Außer mir waren das ein KPD-Mitglied und der Trotzkist Heinz Leidersdorf, der am Ende seiner Lehrerausbildung als Biologe stand, Jude. Von ihm habe ich noch zu berichten. In der gebotenen geringen Lautstärke haben wir lange Gespräche geführt ... Mit Leidersdorf verband mich außerdem unser gemeinsames Interesse an Problemen der Biologie und anderer naturwissenschaftlicher Gebiete.“ 
Im September 1933 kam Leidersdorf mangels Beweisen frei und nahm nach Berichten der Gestapo die illegale Betätigung wieder auf. Es kam zu Gruppentreffen, u.a. im Wandsbeker Gehölz, in der Wohnung seiner Mutter in Rahlstedt bzw. in seiner Unterkunft in der Hansastraße (s.u.) 
Sein Plan, durch Vermittlung von Verwandten nach Südafrika auszuwandern, war inzwischen gescheitert. Am 27. November wurde er mit dem Suizid seines Vater konfrontiert und musste sich der Tatsache stellen, für seine Mutter zu sorgen. Er versuchte, seine Lehrerausbildung fortzusetzen, konnte als Jude das Referendariat jedoch nicht mehr absolvieren. Mit Hilfe der jüdischen Berufsberatung fand er ab Oktober 1934 eine Beschäftigung an der Talmud-Tora-Realschule am Grindelhof, wo er Biologie unterrichtete und dafür 40 RM monatlich erhielt. Da sein geringes Stundendeputat nicht ausreichte, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, gab er zusätzlich Privatstunden. Er hatte sich in Schulnähe ein Zimmer genommen, in der Hansastr. 82 III. bei Clemens und war in die Deutsch-Israelitische Gemeinde eingetreten. Im Januar und Sommer 1935 hielt er sich in Kopenhagen bei seinen mittlerweile emigrierten Genossen Kohn und Jungclas auf (s.a. Kap. Schlachcis). Möglicherweise spielte er ebenfalls mit dem Gedanken, nach Dänemark zu emigrieren, sah sich jedoch vor die Schwierigkeit gestellt, dort eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten bzw. eine qualifizierte Beschäftigung zu finden. 
Ab Oktober 1935 war er wieder in der Grubesallee 21 bei seiner Mutter gemeldet, offenbar eine finanziell bedingte Lösung.
Am 2. November 1935 schlug die Hamburger Gestapo wieder zu, die die Trotzki-Gruppe seit etwa einem halben Jahr observiert hatte wegen des Verdachts auf Vorbereitung zum Hochverrat. Heinz Leidersdorf, Walter Munter und andere wurden bei der Übergabe eines Koffers mit illegalen Schriften vor der Kunsthalle festgenommen und ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel verbracht. Leidersdorf saß dort vom 4. November bis zum 30. April 1936 und vom 4. Juni bis 24. Juni 1936 als Gestapo-Häftling ein und wurde verhört. Die übrige Zeit befand er sich in Untersuchungshaft. In der Gefangenenkartei ist sein Aussehen beschrieben. Demnach war er 170 cm groß, schlank, hatte ein ovales Gesicht und braune Haare; er trug keinen Bart.
Im Juni 1936 wurde auch der bereits erwähnte Curt Bär verhaftet und beschuldigt, die Trotzki-Gruppe Leidersdorf mit illegalen Materialien versorgt zu haben, die dieser zu den Gruppentreffen mit Munter und Defert mitnahm. Der Mitverhaftete Wilhelm Defert hatte ausgepackt. „Da war also von Leidersdorf eine Sicherheits-Absprache nicht eingehalten!“, schrieb Bär, der die Anschuldigungen bisher bestritten hatte.
Bei einem Hofgang forderte er Leidersdorf auf, seine Aussage zu widerrufen und sich einen ihm unbekannten Kurier auszudenken, von dem er das illegale Material angenommen hätte, und auszusagen, er habe nur vom Inhalt her vermutet, es stamme von Bär. Doch Heinz Leidersdorf hätte Bär wohl nicht entlasten können, denn zwischenzeitlich war die Gestapo auch von anderer Seite an Informationen über Bärs ISK-Arbeit gelangt, so dass ein weiteres Leugnen Bärs zwecklos gewesen wäre.
1937 beraumte der sogen. Volksgerichtshof in Berlin einen Prozesstermin an. Leidersdorfs Mutter bemühte sich etwa einen Monat vor Prozessbeginn darum, ihren Sohn vor seiner Verlegung nach Berlin im Hamburger Untersuchungsgefängnis zu besuchen und schrieb einen Brief an das Berliner Gericht. 
„Rahlstedt, den 17. Jan. 1937 
Grubesallee 21
An den Herrn Reichsanwalt beim Volksgerichtshof Berlin
Ich bitte um einen Sprechschein zum Besuch meines Sohnes Heinz. In den nächsten Wochen muss ich mich nochmals einer Augenoperation unterziehen und möchte so oft es geht noch meinen Sohn sehen. Wäre es nicht möglich, dass ich mir in Hamburg einen Sprechschein geben ließe? So lange ist mein Sohn gewiss nicht mehr dort im U.G.
Frau Adele Leidersdorf“

Sie erhielt die Sprecherlaubnis. Doch nach dem Besuch sorgte sie sich erst recht um den Sohn. Vermutlich hatte sie erkannt, wie aussichtslos dessen Position als Angeklagter ohne ausreichende Verteidigungsmöglichkeit war. Nun versuchte sie, beim Ankläger für ihren Sohn einzutreten. 

3.2.1937 (Eingangsstempel) An Herrn Reichsanwalt am VGH in Berlin
Da mein Sohn Heinz Leidersdorf morgen nach Berlin ins U.G. kommt, frage höflichst an, ob ich ihm ... eine heile Hose und Weste schicken darf und auch ein Lebensmittelpaket, vielleicht das letzte für lange Zeit. Ist es erlaubt ihm zu schreiben? Mein Sohn macht sich meinetwegen so viel Sorgen wegen meines Leidens, er hängt sehr an mir u. ich an ihm.
Mein Sohn ist ein ganz prächtiger, anständig gesinnter Mensch, er hat viel Schweres mit uns durchgemacht. Umstände bestimmen den Menschen. Not u. Verzweiflung haben ihn wohl in dieses politische Verhängnis hineingetrieben. Meine Söhne sind in vaterländischem Geist erzogen. Von der Schulbank zog der Älteste ins Feld, kämpfte heldenhaft vor Ypern u. wurde später in Galizien vermisst. Ein furchtbares Schicksal. Nun habe ich nur noch den Heinz. Mein (seliger) Mann, der auch das Ehrenkreuz hatte, sich im Kriege sehr verdient machte, ging freiwillig aus dem Leben.
Mein Sohn Heinz war ein gewissenhafter, fleißiger Student, er machte sein Staatsexamen mit gutem Prädikat. Wir brachten ihm so gerne das Opfer, ihm das Studium zu ermöglichen, wir schränkten uns gerne ein. Nach dem Tode meines Mannes gab er mir ..... von seinem bescheidenen Einkommen, aber war er noch nicht fest angestellt in der T.T. Schule. Es ist mir ein Rätsel, woher er die Zeit nahm, sich politisch zu betätigen. Ich bitte den Herrn Reichsanwalt herzlichst, meinen Sohn nicht zu strenge zu bestrafen, er ist kein gefährlicher Mensch, wer weiß, wie er in die Sache verwickelt wurde. Ich bin sehr unglücklich darüber, wenn mir dieser Einzige, den ich habe, nur gesund bleibt. Wenn er zu lange Strafhaft bekommt, ertrage ich das nicht. 
Seien Sie ihm ein milder Richter, ich bitte darum.
Mit vorzüglicher Hochachtung Frau A. Leidersdorf“

Am 5. Februar 1937 brachte man Heinz Leidersdorf nach Berlin-Moabit, wo er sich in den folgenden zwei Wochen auf seinen Prozess vorbereitete. Er erhielt einen Pflichtverteidiger.
Das Gerichtsverfahren wurde am 17. Februar 1936 eröffnet. Heinz Leidersdorf war gemeinsam mit dem kaufmännischen Angestellten Walter Munter und dem Schriftsetzer Wilhelm Defert wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Als Richter fungierten Senatspräsident Engert als Vorsitzender, Landgerichtsdirektor Dr. Zieger, Bauer und Altlandesbauernführer Bredow, Generalmajor Bock von Wülfingen, SA-Brigadeführer Walch; Beamter der Staatsanwaltschaft war Staatsanwaltschaftsrat Dr. Brenner. Das Urteil stand bereits am 19. Februar fest. Leidersdorf erhielt wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens neun Jahre Zuchthaus und neun Jahre Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. (Diese allerdings hatte der NS-Staat ihm als Juden 1933 und 1935 ohnehin bereits aberkannt.) 15 Monate der U-Haft wurden angerechnet. Munter und Defert wurden zu zehn bzw. sechs Jahren verurteilt. Das beschlagnahmte Schriftenmaterial – geschätzter Wert 1 RM – wurde eingezogen. Die Kosten des Verfahrens hatten die Angeklagten zu tragen. 
In der Urteilsbegründung hieß es: „Die Aktionen richteten sich letztlich immer gegen dasselbe Rechtsgut, die Sicherheit des Deutschen Reiches. Der Angeklagte Leidersdorf hat zwar nicht so lange und nicht so intensiv gearbeitet wie Munter, er ist jedoch zweimal nach Kopenhagen gefahren und hat dort mit den jüdischen Emigranten Kohn und Jungclas über die illegale Trotzki-Organisation verhandelt. Wenn Leidersdorf mit diesen Reisen auch private Zwecke verbunden haben will, ändert das nichts an der Tatsache, dass er sich bei diesen Reisen auch hochverräterisch betätigt hat. Wenn Leidersdorf – wie er behauptet, zu seiner illegalen Betätigung auch mit durch unglückliche wirtschaftliche und häusliche Verhältnisse getrieben sein mag, so ist seine Tat nach der Überzeugung des Senats doch in erster Linie auf seine gehässige und feindselige Einstellung, die er als Jude gegen das Dritte Reich hat, zurückzuführen. Gegen ihn ist daher auf eine Zuchthausstrafe von 9 Jahren erkannt worden. ...
Durch ihre Betätigung haben die Angeklagten das große, friedliche Aufbauwerk des Führers für Volk und Staat in hinterlistiger Weise zu schädigen versucht und sich damit bewusst außerhalb der Volksgemeinschaft gestellt. Ihnen sind daher die bürgerlichen Ehrenrechte ... aberkannt worden.“ 
Die Feindschaft des NS-Regimes gegenüber der jüdischen Bevölkerung war allerdings nicht Gegenstand der Verhandlung. 
Am 22. Februar 1937 wurde der Verurteilte aus der Untersuchungshaft in das Berliner Zuchthaus Plötzensee gebracht. Zwei Tage später verlegte man ihn nach Bremen ins Zuchthaus Oslebshausen. 
Adele Leidersdorf hätte ihren Sohn gern besucht, doch ihr Augenleiden und ihre geringen Geldmittel hielten sie davon ab, nach Bremen zu fahren. So sandte sie ein Gesuch nach Berlin, ihren Sohn in eine Hamburger Strafanstalt zu verlegen. Das lehnte der Generalstaatsanwalt beim Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg ab. Am 18. März 1937 schickte er die Begründung an seinen Berliner Kollegen. „Einer Verlegung des Zuchthausgefangenen Heinz Leidersdorf ... nach Hamburg-Fuhlsbüttel vermag ich nicht zuzustimmen, da die angeführten Gründe nicht rechtfertigen, die gegen Leidersdorf erkannte Strafe entgegen dem geltenden Strafvollstreckungsplan in Hamburg zu vollziehen. Sollte die Mutter des Leidersdorf nicht im Besitze der Mittel zu einer Reise nach Bremen sein, so wird ihr anheim gegeben, sich mit einem Unterstützungsgesuch an die Bremischen Vollzugsanstalten zu wenden. Falls das Augenleiden eine Reise nach Bremen nicht zulassen sollte, so bin ich damit einverstanden, dass Leidersdorf zwischen 2 ständig zwischen Hamburg und Bremen mit Kraftwagen stattfindenden Transporten nach Hamburg verlegt wird, damit seine Mutter ihn besuchen kann. In diesem Falle wird gebeten, sich unmittelbar mit den Bremischen Vollzugsanstalten in Verbindung zu setzen.“
Diese Antwort macht deutlich, dass es durchaus Ermessensspielräume innerhalb der NS-Justiz gab, selbst wenn es sich um politische Strafgefangene handelte.
Ob sich Mutter und Sohn noch sehen konnten, ist nicht dokumentiert.
Heinz Leidersdorf wurde am 2. April 1937 für zehn Tage noch einmal nach Berlin gebracht und anschließend nach Bremen zurückverlegt. 
Seine Mutter war vom 21. Januar 1939 bis 22. Januar 1940 in der Brahmsallee 21 gemeldet, danach wieder Grubesallee 21. Sie wurde 1940 von der Jüdischen Gemeinschaft unterhalten und betreut. Nach einem Vermerk der Dienststelle des Senators Wilhelm von Allwörden von Oktober 1939 besaß sie noch ihr Grundstück, das überschuldet war. Um die Schulden zu tilgen, musste sie eine Hypothek mit monatlichen Raten von 70 RM abtragen. Nach Abzug der Verbindlichkeiten blieben ihr nur 46 RM monatlich zum Leben.
Sie lebte bis zur Deportation in Rahlstedt. Von dort wurde sie zur Sammelstelle an der Moorweide gebracht und am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert, wo sich ihre Spur verlor. 
Zwei Tage vor der Deportation war ihr Vermögen bereits zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden. Das 605 qm große Grundstück in Altrahlstedt fiel im Februar 1942 an den Staat und wurde im Sommer 1942 weiterverkauft. Erwerber war ein Stadtinspektor, der in dem Haus zur Miete wohnte, möglicherweise auch schon zu Zeiten der früheren Eigentümerin.
Es ist anzunehmen, dass Heinz Leidersdorf, immer noch Häftling in Bremen-Oslebshausen, über die Deportation seiner Mutter informiert war. Als die Anordnung erging, alle Haftanstalten von jüdischen Häftlingen zu räumen, musste auch er seine letzte Reise antreten. Am 14. Januar 1943 wurde er „anderweitig überstellt“ – nach Auschwitz. Dort wurde Heinz Leidersdorf am 18. Februar 1943 ermordet, wenige Tag vor seinem 37. Geburtstag. Das vom Gericht festgesetzte reguläre Ende seiner Haftstrafe war auf den 19. November 1944 datiert, von diesem Datum trennten ihn de facto noch etwa 1 ½ Jahre. 
Mit seiner Ermordung war die gesamte Familie ausgelöscht. 
An Heinz Leidersdorfs Vater Hugo erinnert eine Grabplatte auf dem Friedhof Jenfelder Straße. Sein ursprüngliches Grab war entweder 1943 bei der Bebauung des Friedhofgeländes zerstört oder 1955 verlegt worden. 
Astrid Louven
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verlegte Stolpersteine Leidersdorf 2004


 

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Ansicht fr. Königstraße (Heimatmus. Wandsbek)

Louis Levisohn, geb. 30.10.1866, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort verstorben am 1.4.1943
Helene Levisohn, geb. Freudenberg, geb. 8.9.1869, deportiert am 15.7.42 nach Theresienstadt, am 18.12.1943 weiterdeportiert nach Auschwitz
Bernhard Levisohn, geb. 5.5.1898, deportiert am 8.11.41 nach Minsk 
Käthe Levisohn, geb. Mayer, geb. 9.5.1905, deportiert am 18.11.41 nach Minsk 

Stolpersteine: Wandsbeker Königstraße zwischen Wandsbeker Marktstraße und Quarree (Königstr. 84)

Louis Levisohn verstand etwas von Stoffen und Farben, von Tapeten und Dekors. So war es auch kein Wunder, dass er ausgewählt wurde, seine Heimatstadt würdig zu repräsentieren, als sich zum 5. November 1903 hoher Besuch ankündigte. Königin Wilhelmina der Niederlande schickte sich an, das ihr unterstellte Husarenregiment anlässlich des 100jährigen Stiftungstages zu besuchen. Die Bevölkerung feierte die Regentin auf ihren Fahrten durch die geschmückte Stadt vom Bahnhof zur neuen Kaserne. Einen Teil des festlichen Straßenschmucks hatte Louis Levisohn verfertigt. Königin und Honoratioren der Stadt zeigten sich hochzufrieden, was auch in einem Artikel des Wandsbecker Boten zum Ausdruck gebracht wurde. „Die Ausschmückung der Goethestraße (war) Herrn Decorateur Louis Levisohn übertragen worden... Gerade die ... genannte Straße zeichnete sich durch ihren Schmuck besonders aus und erregte allgemeinen Beifall.“ Dreißig Jahre später war vom alten Glanz nichts mehr geblieben, vielmehr sah sich der einst Gewürdigte gezwungen, seinen langjährigen Wohn- und Arbeitsort nahezu mittellos zu verlassen. 
Louis Levisohn gehörte zur zweiten, wenn nicht gar zur dritten Generation einer in Wandsbek ansässigen jüdischen Familie. Er wurde als Sohn des Agenten und Auktionators Rudolf Levisohn und dessen Ehefrau Sophie, geb. Peine, in Wandsbek geboren. Er war das vierte von sechs Kindern, die zwischen 1857 und 1870 ebenfalls dort zur Welt kamen. Levisohn besuchte die dortige Realschule und erlernte danach drei Jahre lang das Handwerk des Sattlers und Tapezier(er)s. Nach Aufenthalten „in der Fremde“ und einer Gesellenzeit in Hamburg machte er sich 1892 in Wandsbek als Tapezier selbstständig. Schon bald konnte er daran denken, eine Familie zu gründen. 1895 schloss er die Ehe mit der ebenfalls jüdischen 25jährigen Helene, geb. Freudenberg. Sie stammte aus Lilienthal bei Bremen und war die Tochter eines Malermeisters. Ihre Mutter war bereits im Folgejahr ihrer Geburt gestorben, ihr Vater, als sie zehn Jahre alt war. Sie hatte als Hausangestellte gearbeitet, bis sie ihren Mann kennen lernte. Die Eheleute bekamen fünf 
Kinder: Philipp, Bernhard, Sophie Lotte, Martha und Mira, die zwischen 1896 und 1909 geboren wurden. Die Jungen besuchten öffentliche, die Mädchen private höhere Schulen in Wandsbek. 
In den ersten Ehejahren lebte die Familie in der Königstr. 72, zentrumsnah wie auch in späteren Jahren: Hamburgerstr. 35, Lübeckerstr. 37 und von 1913 bis 1920 in der Lübeckerstr. 23. Ab 1920 befanden sich Betrieb und Wohnung in der Königstr. 84, in der Nähe des damaligen Rathauses. 
Die Levisohns bewohnten eine gut ausgestattete Vierzimmer-Wohnung. Der Haushalt war koscher, Geschirr und Silber in doppelter Ausführung zum Trennen nach den Speisevorschriften vorhanden. Louis Levisohn engagierte sich in der Jüdischen Gemeinde Wandsbek. 1910 fungierte er als stellvertretender Deputierter und als Mitglied des Kabbronim-Vereins zur Durchführung von Beerdigungen auf dem Gemeindefriedhof Jenfelder Straße. Von 1925 bis 1931 übte er das Amt des stellvertretenden Vorstehers aus und war zeitweise wieder für den Beerdigungsverein tätig; bis 1934 gehörte er zu den nunmehr nur noch drei Vorstandsmitgliedern der Gemeinde. Durch die repressive NS-Politik gegenüber Juden hatten viele finanzstarke Gemeindemitglieder Deutschland verlassen, so war auch die Wandsbeker Gemeinde in Bedrängnis geraten und sah sich gezwungen, den Vorstand zu verkleinern. 
1928, Louis Levisohn hatte nahezu das Rentenalter erreicht, meldete er Konkurs an. Doch sein Sohn Bernhard führte das Geschäft weiter, und vermochte es, auch seinem Vater wieder eine Beschäftigung zu ermöglichen, vermutlich als Angestellter. 

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 konnten sich die Levisohns nicht mehr lange in Wandsbek halten. Die Namen von Vater und Sohn Bernhard fanden sich Mitte der 1930er Jahre auf dem Hetzflugblatt der NSDAP wieder. Ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt, sah sich die Familie Ende 1934 gezwungen, das alteingesessene Geschäft aufzugeben – und Wandsbek zu verlassen. Sie zogen ins Grindelviertel, in die Heinrich-Barth-Str. 24. Nicht dem Betrieb war es schlecht gegangen, sondern den jüdischen Inhabern. Denn ein Nachfolger war schnell gefunden: der Tapezier und Dekorateur Johs. Czaja übernahm den Wandsbeker Traditionsbetrieb.

Es hat den Anschein, dass Louis Levisohn an seinem Gewerbe festhielt. Nach einem weiteren Umzug 1939 ließ er sich als Tapezier, wohnhaft Brahmsallee 18, im Adressbuch eintragen. Seinen Beruf übte er auch in der Bogenstr. 15 ptr. aus. 1939 verschärfte sich die ohnehin prekäre Situation, als Juden die meisten selbstständigen Tätigkeiten untersagt wurden. Louis Levisohn musste einen Antrag auf Fürsorgeunterstützung stellen, in dem es hieß: „kein Vermögen, nichts zu erwarten“. Dessen ungeachtet erfolgte eine Woche später, am 7. Februar 1939, ein Kontrollbesuch eines Fürsorgemitarbeiters. In der 2 ½-Zimmerwohnung lebten sechs Personen, darunter außer den Eltern und dem geschiedenen Bernhard Levisohn noch die arbeitslose verheiratete Tochter Lotte sowie eine unverheiratete Schwester von Helene Levisohn, die Rentnerin Sophie Freudenberg. Ein Zimmer war zudem an eine jüdische Untermieterin, die nicht zur Familie gehörte, vermietet. Die Gesamtmiete betrug 85 RM einschl. Zentralheizung. Die Tochter wurde von den Eltern unterstützt. In seinem Protokoll verwies der Kontrolleur auf den Sohn Philipp Levisohn, der als ehemaliger Teilhaber der Strauss-Werke mutmaßlich über Ersparnisse verfüge, so dass er in der Lage sein dürfe, die Eltern zu unterstützen. Weiter führte er aus: „(Louis) Levisohn sowie seine Frau sind in ihren Aussagen sehr vorsichtig und machen sich gegenseitig Zeichen. Die Angaben sind mit großer Vorsicht aufzunehmen. Die Einrichtung ist gut. Bevor mit U(nterhaltszahlungen) eingetreten wird, müssten die Verhältnisse des Sohnes Philipp genauestens geprüft werden. Die Wohnung ist auch zu teuer.“ 
Wenige Wochen später erklärte das Fürsorgeamt, dass Philipp Levisohn verpflichtet sei, seine Eltern zu unterstützen. Doch dieser wollte bzw. konnte erst zahlen, nachdem der Treuhänder, der Levisohns Teilhaberschaft bei den Strauss-Werken verwaltete, den Betrag aus dem Gewinnanteil ausgezahlt hatte. Die zuständige übergeordnete Behörde verweigerte jedoch die erforderliche Bescheinigung. 
Ende 1939 erhielt Philipp Levisohn dennoch die Auflage, seine Eltern zu unterstützen. Dem muss der Sohn nachgekommen sein, denn ein Vermerk von 1940 auf der Kultussteuerkarte besagt über die bedrängte Lage Louis Levisohns: „kein Einkommen, kein Vermögen, wird von seinen Kindern unterstützt.“
Die folgenden Jahre waren nicht nur von täglichen Repressalien, sondern auch von Trennungen überschattet. Helene und Louis Levisohn nahmen 1939 Abschied, als die Töchter Sophie Lotte und Martha in die USA bzw. nach England auswanderten. Ferner mussten sie sich Ende 1941 von ihren Söhnen Philipp und Bernhard, deren Ehefrauen und den Enkelkindern trennen, die mit ungewissem Schicksal nach Lodz bzw. Minsk deportiert wurden. Sie selbst hatten noch einmal die Wohnung wechseln und in die Bundesstr. 43, ein sogen. Judenhaus, ziehen müssen. Von dort wurden sie am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo einen Tag später ihre Ankunft registriert wurde. Louis Levisohn starb dort am 1. April 1943. Seine auf dem Friedhof Jenfelder Straße reservierte Grabstätte blieb ungenutzt.
Am 18. Dezember 1943 wurde Helene Levisohn nach Auschwitz weiterdeportiert, wo sich ihre Spur verlor. Helene und Louis Levisohn wurden 1957 auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.
Von ihren deportierten Angehörigen hat ebenfalls niemand überlebt (s.u.) 

Bernhard Levisohn, der zweitälteste Sohn von Louis und Helene Levisohn, wurde am 5. Mai 1898 in Wandsbek geboren. Sein Zwillingsbruder Rudolf starb bereits ein halbes Jahr später. Bernhard Levisohn besuchte wie auch sein älterer Bruder Philipp das Matthias-Claudius-Gymnasium. Beruflich trat er in die Fußstapfen seines Vaters und erlernte das Tapezier- und Dekorateurshandwerk. Im Laufe der 1920er Jahre trat er als Kompagnon ins väterliches Geschäft ein, bis er dieses 1928 übernahm, nachdem sein Vater Konkurs angemeldet hatte. 
Außer einer etwa zweijährigen Militärzeit 1917-1919 lebte Bernhard Levisohn stets mit seinen Eltern zusammen, offenbar auch nach seiner Eheschließung mit Käthe, geb. Meyer am 16. November 1934. Sie war die Tochter von Samuel Mayer und Caroline, geb. Lazarus. Bernhard Levisohn war ebenso wie sein Vater am 5. Januar 1935 in die Deutsch-Isrealitische Gemeinde eingetreten, wo sie dem Kultusverband der konservativen Neuen Dammtor-Synagoge angehörten. 1937 hatte sich Bernhard Levisohns finanzielle Lage so weit verschlechtert, dass er die Gemeindesteuern nicht mehr zahlen konnte. Ende 1938 war er durch die Gesetzeslage gezwungen, seine selbstständige Tätigkeit aufgeben. Ab 1939 verdingte er sich als Tapeziergehilfe bei der Fa. Hartmann in der Revalerstr. 10, wo er 40 RM wöchentlich verdiente. 
Zudem scheiterte seine Ehe. Es kam zur Trennung und im Januar 1937 zur Scheidung von Käthe Levisohn. Im selben Jahr wurde der Sohn Heinrich geboren, für den Bernhard Levinsohn unterhaltspflichtig war. Die Wohnsituation war prekär. Käthe Levisohn war 1939 im Loogestieg 10 II. bei Mendel gemeldet, ihr kleiner Sohn in der Eppendorfer Landstr. 12, offenbar eine Notlösung in Sachen Kinderbetreuung. 1940 gelang es ihr, Heinrich im Paulinenstift in der Straße Laufgraben unterzubringen, dem Waisenhaus für Mädchen, das der Jüdische Religionsverband unterhielt. Gegen Verpflegungsgeld wurden dort auch Kinder aufgenommen, deren Eltern(teile) diese nicht versorgen konnten. Käthe Levinsohn verfügte über ein 
Sparguthaben in Höhe von gut 2000 RM, die jedoch ihrer Mutter gehörten. Dennoch wurde sie nun von der Devisenstelle aufgefordert, den Betrag als Unterhalt für ihr Kind heranzuziehen. Auf dem Fragebogen der Devisenstelle erklärte sie am 21. März 1940: „Ich verdiene als Hausangestellte mtl. 60 RM, wovon ich 30 RM Pflegegeld für meinen Sohn Heinrich Israel Levisohn und jegliche Extraausgaben zu zahlen habe. Käthe Sara Levisohn, geb. Mayer”
Ihre Lage verschlechterte sich 1940 noch durch Krankheit, sie verdiente nur noch 45 RM. Ab August 1941 war sie in Altona, 
Große Prinzenstr. 28, bei Gräber gemeldet, wo sie bis zur Deportation wohnte.
Nachdem die ersten etwa 1000 Hamburger Ende Oktober 1941 deportiert worden waren, lebten die übrigen in der bangen Erwartung, auch bald den Deportationsbefehl zu erhalten. Es dürfte sich unter der jüdischen Bevölkerung Hamburgs herumgesprochen haben, dass in den Folgemonaten noch weitere Deportationen folgen sollten. Viele wollten es verhindern, von ihren Angehörigen oder Freunden getrennt zu werden. Da Ehepaare gemeinsam deportiert wurden, kam es im Herbst 1941 noch zu mancher Eheschließung. 
Auch Bernhard Levisohn entschloss sich zu diesem Schritt. Er erschien am 4. November 1941 mit Gertrud Grossmann auf dem Standesamt Eimsbüttel. Trauzeugen waren die Väter der Brautleute. Levisohns zweite Frau war 1907 als Tochter des früheren Händlers Max Grossmann und Henriette, geb. Weinberg, geboren worden. 1930 hatte sie die Tochter Henriette bekommen, die inzwischen verstorben war. Gertrud hatte als Hausangestellte gearbeitet, in der Ottersbeckallee 19 I. bei Eichengrün gewohnt und war 1938 sechs Monate lang bei Leopold Katz tätig gewesen, dem Inhaber der Matzenbäckerei. Zum Zeitpunkt der Eheschließung war sie im Kl. Schäferkamp 32 gemeldet, ebenso wie ihr Vater. Dieser war 1940/41 im Gefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert. Das erste kurze gemeinsame Zusammenwohnen der gerade verheirateten Eheleute sollte auch ihr letztes in Hamburg sein: Gertrud Levisohn zog zu ihrem Ehemann in das sogen. Judenhaus Bundesstr. 43. Von dort machten sie sich zum Logenhaus an der Moorweide auf, wo sich auch Gertrud Levisohns Vater einzufinden hatte. Am 8. November 1941, vier Tage nach der Eheschließung, mussten sie den Zug nach Minsk besteigen; sie waren 43 bzw. 34 Jahre alt. 
Die 36jährige Käthe Levisohn, der vierjährige Heinrich und dessen Großmutter Caroline Mayer wurden zehn Tag später, am 18. November 1941, ebenfalls nach Minsk deportiert. Möglicherweise trafen sie dort mit den anderen Levisohns wieder zusammen. 

Andere Angehörige der Familie Levisohn wurden nach Lodz deportiert, darunter der älteste Sohn von Louis und Helene Levisohn, der am 1. Juni 1896 in Wandsbek geborene Philipp. Er war Absolvent des Matthias-Claudius-Gymnasiums, ab 1915 Soldat im Ersten Weltkrieg und arbeitete sich dann vom Handlungsgehilfen zum Prokuristen hoch. Schließlich wurde er Teilhaber der Strauss-Werke, die Friseurartikel herstellten. Gemeldet war er in Wandsbek Lübeckerstr. 23 und danach bis 1925 in der Lindenstr. 35 in Marienthal. Auch er gehörte der Jüdischen Gemeinde Wandsbek an. 1925 verzog er nach Hamburg-Hamm, in die Straße Moorende 8 (s. Broschüre Stolpersteine in Hamburg-Hamm).
In erster Ehe war Philipp Levisohn mit Martha, geb. Wiener (Jg.1898), verheiratet, die 1932 starb und auf dem Friedhof Jenfelder Straße bestattet wurde. Die gemeinsame Tochter Manja war am 16. Dezember 1929 geboren worden. Philipp Levinsohn ging eine zweite Ehe mit Margrit (Marguerite), geb. Löwenstein (Jg.1913), ein. Die Eheleute bekamen am 27. Februar 1937 noch den Sohn Manfred. Der letzte Wohnort befand sich in der Greflingerstr. 1. Am 25. Oktober 1941 wurde die Familie nach Lodz deportiert, von wo sie am 12. September 1942 nach Chelmno gebracht und dort ermordet wurde. 

Albert Levisohn, am 17. März 1891 in Hamburg als Sohn von William und Bertha Levisohn geboren, war ein Neffe von Louis Levisohn und ein Cousin von Bernhard und Philipp. Ab 1914 Kriegsteilnehmer wurde er verwundet und erhielt das Hanseatenkreuz, eine Auszeichnung, die die Städte Hamburg, Lübeck und Bremen 1915 für Kriegsverdienste verliehen. Nach dem Ersten Weltkrieg machte er sich als Kaufmann selbstständig, arbeitete dann als Buchhalter und als Bücherrevisor bei der Firma Siegfried Halberstadt, Hohe Bleichen 31. Verheiratet war er mit der gebürtigen Hamburgerin Cilly, geb. Magnus, geboren am 31. Dezember 1894. Das Paar hatte zwei Kinder: Rolf William und Ruth Lotte, beide in Hamburg geboren, der Sohn am 11. September 1920, die Tochter 1928. Die Familie gehörte der Jüdischen Gemeinde Wandsbek an und konnte von ihrem Wohnort in der Barmbeker Gluckstraße Geschäfte in Wandsbek und die dortige Synagoge leicht erreichen.
Rolf Levisohn besuchte die Talmud-Tora-Realschule am Grindelhof und gehörte zum letzten Jahrgang, der Abitur machen konnte (1940). Als Aufsatzthema wählte er: Unglück selber taugt nicht viel, doch hat es drei gute Kinder: Kraft, Erfahrung, Mitgefühl. Er schrieb: „Ich will nicht mehr leben. Warum geschah gerade mir dieses Unglück? ... Unterliege oder versuche den Kampf aufs Neue, heißt die Parole... Alle Kräfte sammeln sich zu dem alles entscheidenden Kampf.“ Er war körperbehindert, blieb daher bei seinen Eltern, während die Tochter Ruth im Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England geschickt und gerettet wurde. 
Rolf Levisohn und seine Eltern wurden von ihrem langjährigen Wohnort Gluckstr. 24, wo sie seit 1924 wohnten, am 25. Oktober 1941 nach Lodz deportiert. Dort starb Albert Levisohn am 18. Februar 1942; Cilly und Rolf Levisohn kamen am 25. April 1942 zu Tode. 
Allein 13 Mitglieder der aus Wandsbek stammenden Familie Levisohn sind im Holocaust ermordet worden.
Astrid Louven
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Bernhard Levisohns Schule: Matthias-Claudius-Gymnasium 1880er Jahre (Heimatmus. Wandsbek)

Hanna Meyberg, geb. 11.3.1907, deportiert am 6.12.1941 nach Riga 

Stolperstein: Königsreihe 32 (Langereihe 58)

Hanna Meyberg gehört zu den wenigen, die von ihrer Wandsbeker Adresse aus deportiert wurden, doch sie war diejenige mit der kürzesten Verweildauer in Wandsbek. Als allein stehende Frau kam sie Ende der 1930er Jahre nach Hamburg, wo sie sich vermutlich neben einem größeren Schutz vor antisemitischen Übergriffen auch bessere Existenzbedingungen wie Berufsmöglichkeiten versprach. 
(Jo)Hanna Meyberg wurde am 11. März 1907 in Eschwege geboren. Sie war das älteste Kind ihrer Eltern Max Meyberg und Julie, geb. Hammerschlag, die noch zwei Söhne bekamen: Sally (Jg.1908) und Siegfried (Jg.1911). Die Familie wohnte Marktplatz 6 in einem eigenen Haus. Hanna Meyberg besuchte das Lyzeum bis etwa 1923, danach die Handelsschule, wo sie in Buchhaltung, Stenografie und Schreibmaschine unterrichtet wurde. Sie fand eine Anstellung in dem Engrosgeschäft Max Stein in Eschwege; dort arbeitete sie bis 1937 als Buchhalterin und Stenotypistin. Da jedoch keine Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt wurden, dürfte es sich nicht um eine feste, kontinuierliche Anstellung gehandelt haben. 
Auffällig ist, dass Hanna Meyberg ab Ende der 1930er Jahre sehr oft umzog. Ihr ausgewanderter Bruder beschrieb später ihre Situation: „Sie verlor ihre Stellung aus Verfolgungsgründen im Laufe des Jahres 1937 und konnte als Jüdin keine andere (feste) Anstellung mehr finden.“ Der häufige Ortswechsel spiegelt die eingeschränkten Berufsmöglichkeiten wider: Hanna Meyberg sah sich offenbar gezwungen, den Arbeitsstellen hinterher zu reisen. So lebte sie 1937 eine Zeitlang in Frankfurt am Main, 1938 für ein halbes Jahre in Warburg. 
Inzwischen hatten die Finanzbehörden über den Eschweger Bürgermeister ein Sicherungsverfahren gegen ihren Vater, Max Meyberg, eingeleitet, denn die Eltern wollten nach Südafrika auswandern und hatten die Einreisegenehmigung gerade erhalten. Dort lebten seit 1928 bzw. 1930 bereits die beiden Söhne. Hanna Meyberg hatte ebenfalls einen Einreiseantrag gestellt, der jedoch abgelehnt worden war. 
Der Oberfinanzpräsident in Kassel forderte nun von Max Meyberg ein Vermögensverzeichnis an. Dieser teilte in seiner Antwort mit, „ dass ich am Marktplatz 6 ein Wohnhaus besitze im Wert von 8-9000 RM. Sonstige Bankkt. besitzen wir nicht.“ 
Eine Woche später erhielt die Familie von der Devisenstelle die Anfrage, ob das Grundstück bereits veräußert sei. Sollte das nicht der Fall sein, so solle das geschehen und ein Konto mitgeteilt werden, auf das der Erlös eingezahlt werden konnte. Das Haus wechselte am 7. Juli 1939 für 6100 RM den Besitzer. 
Am 24. Juli 1939 schrieb Max Meyberg an die Devisenstelle Kassel, er habe für den 9. August Schiffsplätze belegt, und bat um Freigabe des Geldes auf dem Sperrkonto, das er für Anschaffungen zu seiner Ausreise für Lebensmittel, Kisten, Fracht, Zoll etc. benötige.
Zwei Tage später informierte der Eschweger Agent der Hamburg-Amerika-Linie, Richard Riedel, die Eheleute Meyberg, dass die Platzbelegung auf den 25. August 1939 ab Hamburg geändert sei. Zudem mahnte er eine Anzahlung an. Fällig wurden für zwei Plätze je 48 englische Pfund entsprechend 1152 RM, zuzüglich 120 RM Trinkgeldablösung und 200 RM Bordgeld. Kosten für Gepäck und Frachtgut kamen gesondert zur Anwendung. Schließlich betonte Riedel: „Nochmals, die Zahlung muss sofort geleistet werden, sonst keine Gewähr für Platzbelegung.“ Postwendend suchte Max Meyberg erneut um die Freigabe seines Geldes nach.
Doch die Devisenstelle hatte keine Eile, wollte erst einmal die Höhe der Summe auf dem gesperrten Konto wissen, die Meyberg am 28. Juli mitteilte. Wiederum bat er dringend um Freigabe des Betrages. Am 29. Juli gab die Devisenstelle der Kreissparkasse endlich grünes Licht: „Gegen Überweisung des Betrages für zwei Schiffsplätze keine Bedenken.“ Doch es dauerte noch fünf Tage, bis die Unbedenklichkeitserklärung des Finanzamtes vorlag.
Ein noch verbleibendes Guthaben übertrug der Vater seiner Tochter zur Verwahrung. 
Kaum hatten die Eltern ihren langjährigen Wohnort verlassen, wandte sich die Devisenstelle Kassel an Hanna Meyberg und forderte von ihr ein Vermögensverzeichnis an. Außer der ihr übertragenen Summe von etwas über 1000 RM nannte sie 29,63 RM Bargeld. „Sonst nichts.“ Sie bat um einen Freibetrag von 150 RM monatlich vom ihr überschriebenen Konto, der ihr gewährt wurde.
Doch sie konnte das Geld nicht für sich allein verwenden: Die Eltern kehrten nach Eschwege zurück. Die Reederei Deutsche Afrika-Linien bescheinigte ihnen, „dass Sie als Fahrgast der Touristenklasse des D. „Pretoria“ am 25.8. die Ausreise nicht antreten konnten, da die Abfahrt des genannten Dampfers infolge der politischen Lage bis auf weiteres verschoben werden musste.“ Wegen des drohenden Kriegsbeginns (1. September 1939) hatte das Auswandererschiff nicht auslaufen können. Die Eltern, die ihre Wohnung gekündigt und ihre Habe verkauft hatten, zogen nun wieder mit ihrer Tochter zusammen, die Adresse lautete Blauer Steinweg 13. Als monatlichen Freibetrag beantragte Hanna Meyberg nun 300 RM und fügte das Schreiben der Afrika-Linien bei. An Ausgaben machte sie 212 RM geltend, zuzüglich 62 RM Miete plus Nebenkosten. Sie fügte hinzu: „In den Zahlen ist der Lebensunterhalt meiner Eltern, für die ich aufzukommen habe, inbegriffen.“ Die Devisenstelle bewilligte den Betrag.
Trotz der relativ geringen Geldmittel, die sich auf ihrem Sperrkonto befanden, erging im Dezember 1939 auch eine Sicherungsanordnung gegen Hanna Meyberg. 1940 leiteten ihre Eltern noch einmal, jetzt erfolgreich, die Auswanderung nach Johannesburg ein. Sie meldeten sich am 9. Februar 1940 aus Eschwege ab. Ihre Tochter begleitete sie nach Hamburg. Nachdem ihre Eltern Deutschland per Schiff verlassen hatten, blieb Hanna Meyberg in Hamburg, trat dem Hamburger Jüdischen Religionsverband bei und erwarb dadurch die Berechtigung, notfalls Leistungen von der jüdischen Wohlfahrt zu erhalten. Doch sie verdingte sich auch als Haushilfe, u.a. bei einer Familie, die in der Neustadt, Schlachterstr. 40, wohnte. Eine weitere Arbeitsstelle befand sich im Hause An der Alster 21 bei Leon. Anscheinend konnte sie weder in Hamburg noch an anderen Orten dauerhaft Fuß fassen. Sie zog nach Castellaun, wenige Tage später nach Eschwege, dann kehrte sie über Kassel nach Hamburg zurück. Genau genommen nach Hamburg-Volksdorf, wo sie Im alten Dorf 61 gemeldet war. Bei der Adresse handelte es sich um die Villa der Familie Liebermann. Ende 1941 lebten dort Robert und Annemarie Liebermann und deren Mieter, Familie Dr. Thilo mit Frau und einer Tochter. Bei einer dieser Familien hat Hanna Meyberg vermutlich im Haushalt gearbeitet (s. Kap. Liebermann). Dort blieb sie nur etwa einen Monat, dann meldete sie sich nach Hamburg-Blankenese und am 18. November 1941 nach Hamburg-Wandsbek, Langereihe 58 I. bei Hirsch um. Die dortigen Bewohner, Sophie Hirsch, ihre Tochter und ihr Enkel waren gezwungen, noch eine weitere Person unterzubringen (s. Kap. Hirsch). 
Mittlerweile hatte die Devisenstelle Hamburg das Sicherungsverfahren von Kassel übernommen und Hanna Meyberg eine Vorladung geschickt. Doch sie konnte den Termin nicht mehr wahrnehmen, was sie der Behörde mit Datum vom 4. Dezember 1941 mitteilte: „Höflich bezugnehmend auf Ihr beiliegendes Schreiben teile ich Ihnen mit, dass ich am heutigen Tage evakuiert werde. Es ist mir daher nicht möglich, Ihrem Wunsch nachzukommen. Hochachtungsvoll Hanna Sara Meyberg, Hausangestellte
Hbg.-Wandsbek, Langereihe 58 I b. Hirsch“
Ihre Antwort weist auf Stilgefühl, Korrektheit und Pflichtbewusstsein hin. 
Am selben Tag hatte sie sich in der Sammelstelle Moorweide zur Deportation einzufinden. Den Zug nach Riga musste sie am 6. Dezember besteigen. Da über ihr weiteres Schicksal nichts in Erfahrung gebracht werden konnte und keine Todesnachricht zu ermitteln war, gilt sie als am 8. Mai 1945 verstorben.
Mitte der 1950er Jahre stellten ihre Brüder als Nacherben der verstorbenen Eltern von Südafrika aus Wiedergutmachungsanträge. Die amtliche Prüfung ergab, dass Hanna Meyberg zwischen dem 9. September 1940 und dem 26. August 1941 nur sechs Wochen Rentenbeiträge an die LVA für ihre Tätigkeit als Haushilfe gezahlt hatte. Dieser Umstand verweist auf die bedrückende Lage der Hamburger Juden insgesamt und lässt den Schluss zu, dass jüdische Frauen Hausarbeit oftmals gegen Entlohnung unter der Hand leisteten. Waren sie allein stehend, erhielten sie manchmal nur freie Unterkunft. Alles in allem waren die meisten jedoch auf die jüdische Wohlfahrt angewiesen. Denn ihre Arbeitgeber bzw. Mitbewohner konnten sie nicht mehr bezahlen, weil Konten gesperrt, Freibeträge gekürzt und Erwerbstätigkeiten verboten waren. 

Astrid Louven
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Stolperstein für Hanna Meyberg, verlegt 2007


 

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Wohnhaus der Familie Pohl, heutige Ansicht.

Hedwig Pohl, geb. 15.2.1896, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz
Prof. Dr. Julius Pohl, geb. 11.1.1861, verstorben am 29.9.1942 

Stolpersteine: Claudiusstieg 6 (Klopstockstr. 6)

Julius Pohl führte als Pharmakologe Tabakforschungen durch. Das Rauchen war – anders als heute, wo Staat und Arbeitgeber ihm Einhalt gebieten – auf dem Vormarsch, und wurde durch die Zigarettenindustrie gefördert und wissenschaftlich begleitet. Julius Pohl befand sich eigentlich bereits im Ruhestand, als er mit Ehefrau und Tochter nach Wandsbek zog, wo Tabakhandel und die Herstellung von Zigarren Tradition hatte, inzwischen waren allerdings Zigaretten bei den Konsumenten gefragter. An seiner neuen Wirkungsstätte, der Zigarettenfabrik Haus Neuerburg, fand Pohl optimale Bedingungen für seine Forschungen vor, handelte es sich doch um einen Branchenriesen. 1928 nahm er seine Arbeit im kurz zuvor errichteten Fritz-Höger-Bau in der Walddörfer Str. 103 auf, wo dem Tabakforscher ein gut ausgestattetes Laboratorium zur Verfügung stand. Pohl leitete dieses sechs Jahre lang. Er lebte mit seiner Familie in Marienthal, Klopstockstr. 6 und bezog seit dem 1. Januar 1934 ein Ruhegehalt der Universität Breslau in Höhe von 600 RM. 
Die Pohls stammten aus Prag und waren römisch-katholischer Konfession. Julius Pohl, als Sohn von Leopold Pohl und dessen Ehefrau Louise, geb. Kantor in Prag geboren, hatte dort Medizin studiert und war 1884 promoviert worden. 1892 habilitierte er sich. Drei Jahre später wurde er außerordentlicher und 1897 ordentlicher Professor der Pharmakologie und Pharmakognosie (hier: Lehre von pflanzlichen pharmazeutischen Drogen). 1911 erhielt er einen Ruf als Ordinarius an die Universität Breslau. Bisher österreichisch, wurden er und seine Angehörigen nun preußische Staatsbürger. Pohl wirkte in Breslau, bis er 1928 als Geheimer Medizinalrat in den Ruhestand trat. Seit 1926 war er Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, wie die Universtität Breslau auch genannt wurde. Er veröffentlichte u.a. 1929 zusammen mit Emil Starkenstein und Eugen Rost ein Standardwerk zur Toxikologie.
Julius Pohl hatte 1895 Hedwig, geb. Wien (Jg.1867) geheiratet. Am 15. Februar 1896 bekamen die Eheleute die Tochter Hedwig, zwei Jahre später den Sohn Franz. Dieser meldete sich als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, erkrankte jedoch und starb 1916 im Alter von 18 Jahren. 
Über das Leben der Tochter Hedwig Pohl ist wenig bekannt. Eine Berufstätigkeit ist nicht dokumentiert. Als sie mit den Eltern nach Wandsbek kam, war sie 32 Jahre alt und nicht verheiratet. Die Vermutung liegt nahe, dass sie im Elternhaus ein Leben ohne materielle Sorgen führte. Die Pohls waren nicht nur als Zugereiste, sondern auch als Katholiken in einer im mehrheitlich protestantischen Hamburg in einer eher ungewöhnlichen Position. 
Durch die „Nürnberger Gesetze“ wurden sie 1935 dann zu Juden erklärt und allen antijüdischen Maßnahmen unterworfen, ohne dass sie sich dieser Minderheit je zugehörig gefühlt hatten. Der erfolgsgewohnte Vater brach zusammen. Die Tochter schrieb in seinem Auftrag am 7. Oktober 1935 an den Wandsbeker Oberbürgermeister Friedrich Ziegler: 

„An den Oberbürgermeister Dr. Ziegler
... Nun kommt meine Anfrage, deren baldige Erklärung ich sehr erbitte. Dazu die folgenden Daten: Schon meine Großeltern sind am katholischen Friedhof in Prag begraben. Meine beiden Eltern, jüdisch geboren, sind seit mehr als 50 Jahren katholisch getauft und vor 40 Jahren in Prag katholisch getraut. Ich selbst und mein verstorbener Bruder bin christlich-katholisch geboren, getauft und erzogen. Dementsprechend war und bleibt unser Haushalt und die Führung unserer Hausangestellten immer gut christlich. Politische Beeinflussungen unserer Hausangestellten, die jahrelang bei uns tätig ist, sind ausgeschlossen... Alle Spenden für die Partei wurden selbstverständlich, so oft diese gefordert wurden geleistet, da mein Vater als alter deutscher Staatsbeamter sich besonders dazu verpflichtet fühlte.
Nach allem hier mitgeteilten können wir nicht fassen, dass die neuen Gesetze vom 15. Sept. 35, die uns Christen plötzlich zu Volljuden machen sollen, auch für uns die angegebenen Folgen: (nicht Flaggen, 45jährige Hausangestellte etc.) haben sollen. Dadurch ist mein Vater derzeit in einem Zustand völligen Zusammenbruches, da er sich stets des größten Ansehens in der Welt erfreute und die offiziellen Maßnahmen, die auf die neuen Gesetze hin erfolgen sollen, würden seinen Lebensabend, das Leben meiner im Krankenhaus liegenden todkranken Mutter und auch meine Zukunft völlig vernichten. ... Da für die Gesetze keine offizielle Erklärung erfolgt ist, bitte ich zu entschuldigen, dass ich mir in meiner Verzweiflung erlaube, Sie Herr Oberbürgermeister anzurufen! Ich bitte Sie, diese Angelegenheit unter Berücksichtigung der angeführten Umstände in menschlich verstehender Art zu entscheiden! ... Ich hoffe auf baldigen Bescheid in dieser unverschuldet qualvollen Lage und auf Ihre Entscheidung. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst von den zuständigen Ortsbehörden wenden sollte.“
Die gesetzlich geschaffene Verwirrung, in die nicht nur die Familie Pohl geraten war, gipfelte in der Frage, wie man gleichzeitig christlich und jüdisch sein konnte. Dass zu diesem Zeitpunkt noch niemand so recht über die Umsetzung der Gesetze Bescheid zu wissen schien, verdeutlicht das Verhalten des Oberbürgermeisters, der den Brief „mit der Bitte um Kenntnisnahme und Mitteilung, was ich antworten kann“ an den Zweiten Bürgermeister Eggers sandte. Dieser war wohl der wahre Herrscher im Wandsbeker Rathaus und hatte als Kreisleiter der NSDAP die Intention der Gesetze auf Anhieb verstanden, wie seine Antwort an Hedwig Pohl vom 26. Oktober zeigte: „Aufgrund Ihres an Herrn Oberbürgermeister Dr. Ziegler gerichteten Briefes vom 7. Oktober d. Js. und Ihres an mich gerichteten Schreibens vom 21.d.Mts. teile ich Ihnen mit, dass die Bestimmungen der in Nürnberg am 15.9.1935 erlassenen Gesetze auf Sie Anwendung finden, da, wie Sie selbst angeben, Ihre beiden Eltern jüdisch geboren sind, mithin blutsmäßig zur jüdischen Rasse rechnen. Kreisleiter“
Die Gesetze wurden allerdings erst Mitte November 1935 präzisiert. Sie brachten bezogen auf die Familie Pohl, die wohl auf Ausnahmeregelungen hoffte, keine positiven Veränderungen. Als „Juden“ galten nun auch alle Personen, die nicht mehr dem Judentum angehörten, aber mindestens drei jüdische Großeltern besaßen. 
Am 27. Oktober 1935 wandte sich Hedwig Pohl wieder an OB Ziegler und bat darum, ihr ihren Brief zurückzuschicken. Ziegler sandte die Karte an Eggers „mit der Bitte um Rückgabe des von mir Ihnen übergebenen Schreibens“. Das war offenbar abgelehnt worden, denn am 28. Oktober 1935 schrieb ihr Ziegler: „Auf Ihren Kartenbrief vom 27. d.Mts. erwidere ich ergebenst, dass ich bedaure, Ihnen das an mich gerichtete Schreiben vom 7.10.1935 nicht aushändigen zu können, da es Gegenstand unserer Prüfung der gesetzlichen Bestimmungen gewesen ist. Es kann somit aus den Akten der städtischen Verwaltung nicht wieder entfernt werden. Dadurch, dass Ihr Schreiben Bestandteil der Akten der städtischen Verwaltung geworden ist, ist auch das Erfordernis der Amtsverschwiegenheit gesichert. D.O.B.“ 
Dass sich die Familie Pohl durch diese Antwort hat beruhigen lassen, darf bezweifelt werden. Vielmehr wird sie mit dem bitteren Gefühl zurückgeblieben sein, sich anvertraut und preisgegeben zu haben. 
Zu den Folgemaßnahmen der „Rassegesetze“ gehörte auch die zwangsweise Eingliederung der Familie ab 1939 in den Jüdischen Religionsverband. Vater und Tochter wurden zur Zahlung von Gemeindesteuern verpflichtet. Während Hedwig Pohl 1940 lediglich ein sogen. Kopfgeld von 12 RM zu entrichten hatte, zahlte ihr Vater bis einschließlich 1942 Kultussteuern, abzüglich anteiliger Kirchensteuern. Die Höhe seiner Abgaben weisen auf einen vermögenden Hintergrund hin. 
Dessen ungeachtet hatte sich die Situation im Haus an der Klopstockstraße weiter verschlechtert. Die Eltern waren pflegebedürftig, die Tochter musste sie versorgen. Vermutlich auf Vermittlung des Jüdischen Religionsverbandes kam am 3. September 1941 Hermine Leib ins Haus (s. Kap. Leib), die bisher im Alten- und Siechenheim des Jüdischen Religionsverband gearbeitet hatte. Doch wenige Wochen später erhielt diese den Deportationsbefehl. Am 25.Oktober 1941 sollte sie Hamburg Richtung Lodz verlassen. Hedwig Pohl sah sich wieder auf sich allein gestellt.
Im Januar 1942 erließ die Devisenstelle eine Sicherungsanordnung. 
In einer Anlage zum Fragebogen, in dem die Vermögenswerte einzutragen waren, schilderte Hedwig Pohl die desolate Situation, in der sich die Familie befand: „Hausangestellte zurzeit keine gehalten, weil ich niemand bekommen kann, da Prof. Pohl gelähmt, 80 Jahre alt ist u. Frau Pohl 74 Jahre alt u. mit blutendem Magengeschwür bettlägerig u. dauernd pflegebedürftig ist. Bitte dieses ... zu berücksichtigen. Die Tochter ist ganz allein für Haushalt u. Pflege usw. (zuständig). Bitte überhaupt vielmals, da ich wg. oben aufgeführter Krankheiten u. Alters von Herrn u. Frau Pohl derzeit nicht umziehen kann, da beide lt. ärztlichem Attest transportunfähig sind, den genehmigten Betrag möglichst hoch festzustellen, weil ja die Wohnungsmiete so hoch ist.“
Die Miete betrug 275 RM kalt. Die monatlichen Ausgaben für sich und ihre Eltern bezifferte Hedwig Pohl auf 650 RM. Die Summe wurde kurzfristig bewilligt, ab 1. März 1942 jedoch auf 550 RM abgesenkt, möglicherweise, weil Julius Pohls Ehefrau inzwischen verstorben war. Vater und Tochter mussten Wandsbek nun doch verlassen. Am 12. Februar 1942 bezogen sie Quartier in Hamburg-Eimsbüttel, Kielortallee 22, einem Haus der Oppenheimer-Stiftung, das nun als „Judenhaus“ diente. Damit gehörten die Pohls zu jenen, die relativ spät aus Wandsbek wegzogen. Fünf Monate später erhielt Hedwig Pohl den Deportationsbefehl. Was sollte nun aus ihrem Vater werden? Julius Pohl wurde am 10. Juli 1942 im Jüdischen Pflegeheim, Laufgraben 37, aufgenommen. Hier fand vermutlich auch der Abschied zwischen Vater und Tochter statt, bevor sich Hedwig Pohl zur Sammelstelle an der Moorweide begab. Sie wurde am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Sie war 46 Jahre alt. So bestätigte sich, was sie sieben Jahre zuvor in ihrem Brief an den OB ahnungsvoll geschrieben hatte: dass die Nürnberger Gesetze und die Folgemaßnahmen ihre Zukunft völlig vernichten würden. 
Ihrem pflegebedürftigen Vater legte man eine Übersiedlung in die „Alten-Heimstätte des Gettos Theresienstadt“ nahe. Wie viele betagte Juden unterschrieb auch Julius Pohl einen entsprechenden Heimeinkaufsvertrag, mit dem er sein gesamtes Vermögen für Unterbringung und Versorgung in der vermeintlich komfortablen Heimstätte Theresienstadt übertrug. Dafür löste er noch eine Hypothek ab. 
Julius Pohl erreichte Theresienstadt nicht mehr. Er starb am 29. September 1942 im Alter von 81 Jahren im Pflegeheim. Ein Stolperstein wurde dennoch für ihn gesetzt, denn der frühere Geheimrat wurde zwar nicht deportiert, musste jedoch mindestens sieben Jahre lang alle gegen Juden gerichtete Verfolgungsmaßnahmen erdulden.

Astrid Louven

English version 
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Haus Neuerburg 1920er Jahre (Heimatus. Wandsbek)


 

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fr. Lübeckerstr. (W. Marktstr.) 1920er Jahre (Heimatmus. Wandsbek)

Liselotte Schlachcis, geb. am 23.3.1910, 1940-1942 Haft in Kopenhagen, Hamburg, Lübeck und Neumünster, von dort am 17.12.1942 deportiert nach Auschwitz

Stolperstein: Wandsbeker Marktstr. 79/81 (Lübeckerstraße)

Liselotte Schlachcis war nach Dänemark emigriert, befand sich dort jedoch keineswegs in Sicherheit. Als die dänischen Juden im Oktober 1943 nach Schweden gebracht wurden, war sie vermutlich schon tot. Warum konnte sie nicht auch gerettet werden? 
Liselotte (Ruth) Schlachcis, auch Lotte genannt, wurde am 23. März 1910 in Pinne im preußischen Posen geboren als Tochter von Eduard Schlachcis und dessen Ehefrau Martha, geb. Levinsohn (Jg.1886). Vermutlich gehörte die Familie zu jenen Deutschen, die wegen der Gebietsveränderungen infolge des Ersten Weltkrieges nicht unter nunmehr polnischer Regentschaft leben wollten, und die es nach Wandsbek verschlagen hatte. Die Familie war seit Ende 1922 dort wohnhaft, anfangs in der Hamburgerstr. 29, vermutlich bei Kohn. Unter derselben Adresse betrieb Martha Schlachcis einen Schuhwarenhandel. Lotte Schlachcis war 1926 in Segeberg gemeldet und kehrte im März 1928 – wie es hieß – „von Reisen“ in die Wohnung ihrer Mutter nach Wandsbek zurück. Ab 30. April 1930 wohnten beide in der Lübeckerstr. 13 bei dem Kaufmann Karl Florstedt zur Untermiete. Inzwischen war Martha Schlachcis verwitwet und hatte den Schuhwarenhandel aufgegeben, der nun von G. Kohn jun. betrieben wurde. 
Am 29. März 1931 meldete sich Liselotte Schlachcis nach Hamm, (vermutlich) Wichernweg 28 ab. Ihre Mutter zog ein Jahr später in die Steilshooperstr. 177 in Barmbek. 
Wann Lotte Schlachcis’ politische Arbeit für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) begann, ist nicht genau zu datieren. Sie schloss sich einer Gruppe in Wandsbek an, die nach der NS-Machtübernahme illegal weiterarbeitete. Das führte zu konspirativem Verhalten und vielerlei Vorsichtsmaßnahmen; Flugblätter konnten nur noch unter großer Geheimhaltung, z.B. in einem der hinteren Räume des Gemüsegeschäftes Lammers in der Langenreihe hergestellt werden. Der Sohn des Inhabers, Kurt Lammers, wurde 1935 verhaftet, sein Kontakt zu Lotte Schlachcis riss ab. Er schilderte sie später als klein, vollschlank, dunkelhaarig und gebildet, Sekretärin von Beruf. Eine Verbindung zwischen ihr und dem Hamburger Jungkommunisten Rudolf Lindau, mit dem sie verlobt war, erwähnte er nicht. Lindau wurde 1934 hingerichtet.
Die Arbeit im Widerstand erwies sich mit zunehmender Etablierung des NS-Regimes als immer schwieriger, weshalb sich zahlreiche Kommunisten, unter ihnen auch Lotte Schlachcis, Mitte der 1930er Jahre nach Kopenhagen absetzten, wo sie weiterhin politisch arbeiteten. Ob Lotte Schlachcis dort als anerkannte Emigrantin oder als Illegale lebte, ist nicht bekannt. Nach der Besetzung Dänemarks im April 1940 durch die Wehrmacht verschlechterte sich die Situation der legalisierten wie der illegal im Land lebenden Widerständler. Liselotte Schlachcis hatte mittlerweile einen neuen Lebensgefährten gefunden, den Kommunisten Willi Adam, zeitweilig Führungskader der Abschnittsleitung Nord der illegalen KPD in Kopenhagen. Das Paar wohnte von 1937 bis zum Spätherbst 1938 in einer Wohngemeinschaft zusammen mit den Parteigenossen Kurt und Marie Richter. 
Im August 1939 hatten das Deutsche Reich und die Sowjetunion den Hitler-Stalin-Pakt geschlossen, d.h. die Sowjetunion betrachtete Deutschland nicht mehr als Feind und forderte die emigrierten Kommunisten nun auf zurückzukehren. Der Historiker Thomas Pusch zeigt in seiner Arbeit über die politischen Emigranten auf, dass die KPD-Führung nach der Besetzung Dänemarks die, bezogen auf jüdische Partei-Mitglieder „perfide“, Strategie verfolgte, ihre Kader nach Deutschland zurückzubringen, auch wenn sie dort höchst gefährdet waren. Willi Adam unterstützte die Parteilinie, ganz entgegen der Auffassung vieler Gesinnungsgenossen vor Ort, die verhindern wollten, in ihren Funktionen enttarnt und bei einer Rückführung nach Deutschland mit diesen Informationen belastet zu werden. Sie wussten nicht, dass Adam ein Doppelspiel betrieb: Er wurde später (nach 1940) als V-Mann der Gestapo identifiziert. Mit hoher Wahrscheinlichkeit verriet er auch seine Lebensgefährtin. Thomas Pusch dazu: „Liselotte Schlachcis wurde nach meiner Beurteilung durch ihren Lebensgefährten W. Adam im Auftrag der illegalen Leitung der Kopenhagener KPD an die Gestapo verraten. Sie hatte es – nach menschlichem Ermessen – zuvor abgelehnt, sich freiwillig der Gestapo zu stellen (dies war ja die offizielle Linie der Partei). Ihr Lebensgefährte war – höchst wahrscheinlich mit Billigung der Partei! – V-Mann der Gestapo mit dem Ziel, die sich in der Illegalität verborgenen Genossen nach Deutschland zur Auslieferung zu bringen.“ 
Das führte dazu, dass Lotte Schlachcis im Dezember 1940 oder Anfang 1941 als Mitarbeiterin der KPD Abschnittsleitung Nord in Kopenhagen verhaftet wurde. Schon bald kam sie als Zwangs-Remigrantin in Hamburg in Haft, wo sie ein Jahr und sieben Monate in Fuhlsbüttel einsaß, anfangs in Gestapo-Haft und ab 5. August 1941 als Untersuchungsgefangene. Auf der Gefangenenkarteikarte ist unter Beruf Kontoristin eingetragen. Ein Stempelaufdruck besagt: „Streng trennen von allen politischen Gefangenen!“ Liselotte Schlachcis wurde neben xxx Jensen und anderen Genossen am 26. Juni 1942 vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg zu sechs Jahren Zuchthaus wegen fortgesetzter Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Ihre Haftentlassung war auf den 25. November 1946 festgesetzt.
Am 9. Juli 1942 wurde sie aus Fuhlsbüttel ins Frauenzuchthaus Lübeck-Lauerhof überstellt, wo sie am 19. Juli registriert wurde. Diese Gefangenenanstalt hatte in den 1930er Jahren zum Kooperationsverband Norddeutscher Haftanstalten gehört und wurde nun genutzt, um die überfüllten Hamburger Strafanstalten zu entlasten. Doch bei Lübeck-Lauerhof sollte es nicht bleiben. Am 14. November 1942 folgte noch eine weitere Verlegung in die Frauenabteilung des Straf- und Jugendgefängnisses Neumünster. Die Anordnung, alle jüdischen Häftlinge in deutschen Gefängnissen, Zuchthäusern oder Konzentrationslagern in das Vernichtungslager Auschwitz zu überführen, traf auch Lotte Schlachcis. Am 17. Dezember 1942 um 9.45 Uhr verließ sie die Strafanstalt Neumünster und wurde nach Auschwitz überführt. Wie lange die 32jährige dort überleben konnte, ist unbekannt. 

Liselotte Schlachcis’ Mutter lebte ebenfalls in Kopenhagen, sie hatte wieder geheiratet und bei Kriegsende auf die Rückkehr ihrer Tochter gehofft, jedoch vergeblich. Nun wollte sie wenigstens das Urteil wegen Hochverrats aufgehoben wissen und schaltete 1955 einen Hamburger Anwalt ein. Noch im selben Jahr wurde das Urteil gegen Liselotte Schlachcis aufgehoben. 
Wie viele Hinterbliebene von Deportierten litt Martha Schlachcis, verheiratete Bukrinsky weiter unter Tatsache, dass der Tod ihrer Tochter immer noch nicht beurkundet war. Auch Bemühungen des Generalsekretärs der Häftlingsorganisation Amicale Internationale de Neuengamme, Hans Schwarz, konnten keinen Aufschluss geben: Die Gefangenenunterlagen aus der Justizvollzugsanstalt Neumünster aus der Zeit bis 1945 waren inzwischen verloren gegangen, die Akten der Hamburger Staatsanwaltschaft bereits 1955 vernichtet. Liselotte Schlachcis wurde rückwirkend auf den 9. Mai 1945 für tot erklärt. 
Die Ausgangsfrage, warum sie nicht wie die meisten dänischen und nach Dänemark geflüchteten Juden nach Schweden gebracht wurde, verweist auf die Verantwortung der KPD-Führung. Liselotte Schlachcis hätte in Dänemark gerettet werden können. Zwar waren Anfang 1941 die Deportationen aus Deutschland noch nicht angelaufen und jüdische Strafgefangene wurden noch nicht nach Auschwitz überstellt, doch der Parteiführung war das scharfe Sonderrecht, unter dem die Juden in Deutschland lebten und deren bedrängte Lage bekannt. Dennoch stellte sie Parteiinteressen nicht zurück, sondern lieferte die Juden in ihren Reihen an die Gestapo in Deutschland aus, anstatt sie ins sicherere Ausland zu bringen oder nach Dänemark zurückzuschleusen – wie z.B. Willi Adam 1941.
Astrid Louven
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Königsreihe (Langereihe) 1930er Jahre mit Gemüsehandel Lammers (Heimatmuseum Wandsbek)


 

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fr. Haus der Seligmanns, Bärenallee


 

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Helene und Jacob Seligmann

Helene Seligmann, geb. Kallmes, geb. 5.4.1861, deportiert ins Durchgangslager Westerbork/NL, dort verstorben am 23.6.1943
Jacob Seligmann, geb. 25.7.1884, deportiert vom Durchgangslager Westerbork/NL ab März 1943 ins Vernichtungslager Sobibor, dort ermordet am 21.5.1943

Stolpersteine: Bärenallee 30 (Bärenallee 16)

In der Bärenallee stand einst eine repräsentative Villa, ein typischer Bau der Gründerzeit, der Jahrzehnte lang das Domizil der Familie Seligmann war. Der Hausmakler Moritz Seligmann (Jg.1852) hatte das Grundstück 1892 erworben. Die Übereignung war durch Helene Seligmanns Zwillingsbruder Julius Kallmes und die Hausmaklerfirma J.&S. Hirsch zustande gekommen.
Helene Kallmes wurde in Wandsbek geboren. Sie war 21 Jahre alt, als sie 1882 den in Wandsbek wohnhaften Moritz Seligmann heiratete, mit dem sie u.a. in der Schlossstr. 37 lebte. Am 25. Juli 1884 bekam sie ihr erstes Kind und einzigen Sohn Jacob Moritz, auch Maurice genannt. Vier Töchter folgten: die Zwillinge Regina und Henny (Jg.1886), Olga (Jg.1890) und Erna (Jg.1892). Lebensmittelpunkt der gutsituierten Familie waren und blieben – nach einem einjährigen Aufenthalt in Königsberg 1904/05 – Haus und Garten in der Bärenallee. Dort lebte später zeitweise auch die Tochter Olga mit ihrer Familie. Der Lebensstil orientierte sich an den Gepflogenheiten des gehobenen jüdischen Bürgertums: kulturell und religiös im Judentum verwurzelt – die Kinder erhielten privaten Religionsunterricht bei Rabbiner Bamberger – offen und modern im Hinblick auf die Neuerungen der Zeit. Jacob Seligmann besuchte das Matthias-Claudius-Gymnasium und nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, wobei er sich eine Verwundung zuzog. Seine Schwester Olga wurde Lehrerin und arbeitete bis zu ihrer Heirat, und während ihr Ehemann Soldat war, in ihrem Beruf. Die Schwester Henny war als Kontoristin tätig. Sie starb 1917 im Alter von 31 Jahren. 
Das Engagement für die jüdische Gemeinde blieb eher den Eltern vorbehalten. Neben ihrem Ehemann war auch Helene Seligmann in der Gemeinde aktiv, und zwar im Unterstützungsverein von 1876, einem Frauen-Verein, dessen Zweck darin bestand, in Not geratenen jüdischen Frauen zu helfen. Im Jahre 1910 firmierte sie als Kassiererin „Frau Moritz Seligmann“, in den 1930er Jahren übernahm sie das Amt der Vereinsvorsitzenden. 
Nach dem Tod ihres Ehemannes 1911 zahlte sie regelmäßig Gemeindesteuern bis 1923, danach nicht mehr bzw. geringe (freiwillige) Beiträge. 
Jacob Seligmann hatte nach dem Tod seines Vaters dessen Maklerbetrieb in der Hamburgerstr. 14 übernommen und sich als Haus- und Hypothekenmakler etabliert. Alles deutete auf eine behagliche bürgerliche Zukunft hin, zumal sich auch sein Privatleben erfreulich gestaltete. 1923 heiratete er Frieda, geb. Lüttmann (Jg.1894), die nicht nur wegen ihres einnehmenden Wesens und ihrer attraktiven Erscheinung von der Familie gut aufgenommen wurde. Sie war zum Judentum konvertiert und führte einen koscheren Haushalt. Die Eheleute bezogen ein eigenes Haus in der Schillerstr. 23, der heutigen Straße Schlossgarten. Die Ehe blieb kinderlos. Ende der 1920er Jahre stiftete Jacob Seligmann der Wandsbeker Synagoge Vorhang und Decke zu Ehren seines verstorbenen Vaters. 1929 fungierte Seligmann als Hausmakler in eigener Sache. Er verkaufte die Familienvilla in der Bärenallee im Auftrage seiner Mutter, die mit ihren Kindern in einer Gütergemeinschaft lebte, an den Hausmakler Josef Beith, der für seine Familie ein größeres Domizil benötigte (s. Kap. Beith). Im Kaufvertrag war vorgesehen, dass dieser Helene Seligmann seine freiwerdende Wohnung in der Jüthornstr. 1 zur Verfügung stellen würde. Doch bereits zwei Jahre später musste die Übereignung wieder rückgängig werden, da der Käufer seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen konnte und die Zwangsversteigerung drohte. Das Haus ging wieder auf Helene Seligmann über und fand kurz darauf einen anderen Besitzer; die Eigentumsübertragung wurde Ende 1931 registriert.
Als Hypothekenmakler hatte Jacob Seligmann auch die Generalvertretung der Rheinisch-Westfälischen Boden-Credit-Bank, Köln, übernommen. Seine Agentur in Hamburg befand sich 1926 in der Ernst-Merck-Str. 12-14 und fünf Jahre später in der Mönckebergstr. 17; in Wandsbek unterhielt er noch ein Büro in der Hamburgerstr. 22. 
Sein prominentester Kunde war wohl der Boxer Max Schmeling. Als er Schmeling 1933 in Berlin traf, erhielt Seligmanns Neffe Heinz Haller eine Autogrammkarte des bekannten Sportlers, was das Ansehen des Jungen bei seinen Klassenkameraden im Paulinum, der Schule des Rauhen Hauses in Hamm, erheblich steigerte.
Vermutlich unter dem Druck der NS-Verfolgung – 1933 war Jacob Seligmann in Polizeigewahrsam genommen worden, 1935 wurde er als Hausmakler auf dem NS-Flugblatt angeprangert, das Behörden und NSDAP in Umlauf gebracht hatten – verlegte er seinen Wohnsitz Ende des Jahres 1935 von Wandsbek nach Hamburg in die Colonnaden 25/27 II. Sein Büro befand sich nun im Speersort 8 II. Infolge seines Umzuges wechselte er im Januar 1936 von der Jüdischen Gemeinde Wandsbek in die Hamburger, wo er sich der Neuen Dammtor-Synagoge anschloss. 1936 kehrte er allerdings für kurze Zeit in sein Elternhaus an der Bärenallee zurück, wo seine Mutter noch gemeldet war. Jacob Seligmann galt als gesellig und großzügig und legte diese Eigenschaften auch unter dem Druck der Verfolgung nicht ab. Auf seinen Fahrten von Wandsbek nach Hamburg benutzte er auch die Straßenbahn. Dort traf er oftmals Bekannte, so eines Tages auch einen Kiosk-Besitzer vom Marktplatz, bei dem er seine Zeitungen zu kaufen pflegte, und dessen Tochter. Sie war in der Wandsbeker Geschäftswelt auch als Zeitungsausträgerin bekannt. Jacob Seligmann gesellte sich zu den beiden, die auf dem Perron standen, und schenkte dem überraschten Mädchen fünf Mark. „Das war damals viel Geld“, erinnert sich die Zeitzeugin heute. 
Seligmanns Schwestern waren verheiratet und mit ihren Familien bereits nach Palästina ausgewandert. Auch Jacob Seligmann plante zusammen mit seiner Frau die Emigration. Amsterdam sollte das Ziel sein, und er machte sich dort auf die Suche nach einer geeigneten Wohnung.
Seine Mutter war 1935 nach Palästina gereist, um ihre Töchter Olga und Regina de Haas und Erna Haller zu besuchen und dort ihren 75. Geburtstag zu feiern. Helene Seligmann fühlte sich in dem warmen Klima wohl, das ihren Gliedern gut tat. Ihre Enkelin Alisa erinnert sich an eine folgenschwere Entscheidung, die in der Familie bis heute gegenwärtig ist: „Auf einmal kamen ihr Sohn und die Schwiegertochter, Jacob und Friedchen Seligmann, uns alle hier zu besuchen. Er erzählte, er wäre nach Amsterdam umgezogen und hätte da ein Extra-Zimmer für meine Großmutter eingerichtet – und er wollte sie unbedingt zurück nach Holland mitnehmen. Wir waren alle sehr dagegen, aber wir konnten nichts machen. 1936 fuhr sie mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter wieder zurück.“ 
Helene Seligmann folgte also ihrem Sohn, dem sie zutraute, dass er auch in schwieriger Zeit für sie sorgen würde. Trotz aller positiven Eindrücke in Palästina hatte sie wohl erkannt, dass die Töchter und deren Ehemänner noch nicht so gut Fuß gefasst hatten, um eine zusätzliche Person ohne Probleme aufnehmen zu können. So war es ihrem Schwiegersohn Alfons de Haas nur unter großen Schwierigkeiten gelungen, eine Zigarrenfabrikation aufzubauen. Um einen Konkurs abzuwenden, kehrte er für einige Jahre nach Europa zurück und nahm in Holland seinen Tabakgroßhandel wieder auf, mit dessen Einnahmen er die Fabrik in Palästina unterstützte. Von 1938 bis zu ihrer Rückkehr nach Palästina 1940 lebte die Familie mit dem jüngsten Sohn in Amsterdam, während die beiden älteren Söhne die Stellung in Palästina hielten. Als sie nach Amsterdam kamen, fanden sie dort bereits Verwandte vor.
Denn Jacob Seligmann und seine Ehefrau hatten Deutschland 1937 verlassen. Auch Helene Seligmann zog aus Wandsbek fort. Doch sie blieb vorerst noch in Hamburg gemeldet, wohnte bis zu ihrer Auswanderung im Juni 1939 in der Parkallee 7 bei Baruch und hatte sich dem Kultusverband der Neuen Dammtor-Synagoge angeschlossen.
Mit der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 durch die deutsche Armee gerieten neben den ansässigen holländischen Juden auch die Emigranten aus Deutschland in die Maschinerie der Verfolgungsmaßnahmen. Vermutlich waren die Seligmanns gezwungen, ins Amsterdamer Judenviertel umzuziehen. Im Februar 1941 wohnten sie in der Haringvlietstraat 15 III. 
Das letzte Lebenszeichen war eine Rote-Kreuz-Mitteilung von Helene Seligmann an ihre Tochter Erna Haller in Jerusalem, ein Formbrief, verschickt am 8. März 1943. Er enthielt die Worte „Wir sind gesund...“, mit Grüßen und Unterschriften.
Bald darauf hatten sich Helene und Jacob Seligmann im Durchgangslager Westerbork einzufinden. Frieda Seligmann blieb als „arische“ Glaubensjüdin in der Wohnung zurück. 
Jacob Seligmann wurde im März 1943 von Westerbork ins Vernichtungslager Sobibor deportiert. Als Todestag ist der 21. Mai 1943 eingetragen. 
Helene Seligmann überlebte ihren Sohn um etwa einen Monat, sie starb am 23. Juni 1943 in Westerbork. Ihre Enkelin Alisa hat ihr Grab aufgesucht: „Ich besuchte den Friedhof in der Nähe von Amsterdam und sah ihr Grab. Es war ein Reihengrab... Aber rückschauend war es noch ein Glück, dass sie nicht nach Auschwitz oder (einem) ähnlichen, schrecklichen Vernichtungslager kam.“ Helene Seligmann ist zwar in einem Grab bestattet, doch ihr Tod in einem Sammellager, einer Art Wartestation auf den Transport in „schreckliche Vernichtungslager“ war keineswegs ein „natürlicher“. Deshalb wurde auch für sie ein Stolperstein verlegt. 
Frieda Seligmann heiratete nach Kriegsende wieder, nach der Erinnerung ihres Neffen Chaim „einen streng religiösen holländischen Juden, der irgendwie überlebte. Wir haben die beiden wiederholt in Amsterdam besucht.“ Sie sprach jedoch nicht über die Ereignisse des März 1943. „Mehr als das Datum der Deportation konnte (oder wollte) sie uns nicht sagen.“ 
Astrid Louven
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Gunter Demnig verlegt den Stolperstein für Jacob Seligmann 2004


 

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historische Ansicht der Zollstraße (Heimatmus. Wandsbek)


 

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Hermann Semler, Gemeindevertreter

Hermann Semler, geb. 1.4. 1873, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort verstorben am 4.8.1942

Stolperstein: Wandsbeker Zollstr. 115 (Zollstr. 24)

Hermann Semler gehörte als Inhaber eines Konfektionshauses zu den Wandsbeker Textilkaufleuten, die um die Jahrhundertwende 1900 zugewandert waren und seitdem ununterbrochen in Wandsbek lebten. Semlers Eltern hatten das österreichische Kronland Galizien verlassen, wo die jüdische Bevölkerung jiddisch sprach und im „Stetl“ lebte.
Hermann Semler war als Hersch Semler in der Stadt Rzeszow geboren worden. 1878 waren seine Eltern Leib Semler und Freide, geb. Berkowitz nach Hamburg verzogen, wo sie ihre jüdischen Vornamen ablegten. Die Eltern nannten sich nun Leon und Frieda und gaben dem Sohn den Vornamen Hermann.
Am 13. November 1900 verheiratete sich Hermann Semler mit Minna, geb. Frank (Jg.1873). Zwei Kinder wurden geboren: Bella (Jg.1902) und Ludwig (Jg.1903). Die Familie wohnte anfangs in der Lübeckerstraße. Hermann Semler baute ein Geschäft für Damen- und Herrenkonfektion auf, das er nach einem Umzug in der Zollstr. 111 betrieb. Er gehörte der Jüdischen Gemeinde Wandsbek an, fungierte 1910 als Kassierer des Wander-Unterstützungsvereins und in den 1930er Jahren als Gemeindevertreter. Während des Ersten Weltkrieges war Minna Semler, seine Ehefrau, im Geschäft tätig. Sie starb 1931 in Wandsbek.
1920 hatte Her mann Semler die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Im Adressbuch desselben Jahres war er unter der Bezeichnung Agent, Zollstr. 111, eingetragen.
Seine Kinder erhielten eine sehr gute schulische Ausbildung: die Tochter Bella besuchte die Schneider’sche höhere Töchterschule und später das Wandsbeker Lyzeum; der Sohn Ludwig studierte Jura an den Universitäten Köln und Heidelberg und schloss sein Studium mit der Promotion ab. 
Der Betrieb war anfangs ein Etagengeschäft, aber im Laufe der Jahre erwiesen sich – nach Angaben einer Zeitzeugin – auch Schaufenster als nötig. Semlers zogen auf die andere Seite der Zollstraße um und eröffneten in der Nr.24 ein mittelgroßes Geschäft mit einem großen Fenster in moderner Passage. Räume der ersten Etage wurden mit für den Verkauf und das Lager gebraucht. Die Firma prosperierte. 
Über dem Laden befand sich die Wohnung, die im gutbürgerlichen Stil eingerichtet war, mit halbledernen Klassikerbänden und einem modernen Plattenspieler. Gleichwohl war der Haushalt auch religiös. Der Lebensstil entsprach dem „besseren Mittelstand“. Dazu gehörten auch jährlich stattfindende Kuraufenthalte von Ehefrau und Tochter, die Mittelgebirge bevorzugten, während es Hermann Semler nach Helgoland zog. Die Tochter war zeitweise auch im Geschäft tätig, wo normalerweise zwei bis drei Angestellte beschäftigt wurden. 
Während Semler seinen Betrieb bisher offenbar als Gewerbebetrieb geführt hatte, ließ er ihn 1929 ins Handelsregister eintragen als Firma Bekleidungshaus Hermann Semler, Sitz Wandsbek. 
Vor ihrer Eheschließung 1932 wohnte Bella Semler noch in der Wohnung des Vaters. Sie heiratete im Wandsbeker Standesamt den Kaufmann Friedrich Leyser aus Altona. Im selben Jahr übernahm dieser die Firma J. Semler, Herren- und Damengarderoben, die sich auf Hamburger Gebiet in der Wandsbeker Chaussee 211-213 befand. Der bisherige Inhaber Joel Semler war ebenfalls seit 1878 in Altona bzw. Hamburg ansässig und vermutlich ein Bruder Hermann Semlers. 
Der Machtantritt der Nationalsozialisten führte auch bei Semler zu Umsatz-Einbrüchen, wenngleich er viele gute Stammkunden hatte, „denn der alte Herr Semler war sehr geschätzt durch seine menschliche und humorvolle Art.“ Bei Semler konnte man auch auf Abzahlung kaufen, so dass viele Arbeiter zu seinen Kunden gehörten. Doch die alten Bindungen erodierten durch die antijüdische Politik: auch Semlers Geschäft war auf dem Hetzflugblatt aufgeführt. Bereits 1933 musste er seine Steuern an die Jüdische Gemeinde in Raten zahlen, da seine Einnahmen infolge des Boykotts jüdischer Geschäfte gesunken waren. Sein Jahreseinkommen von rund 10.000 RM war um 50% zurückgegangen. Doch noch hielten ihm seine überwiegend ärmeren Kunden die Treue. Erst in der Hochphase der „Arisierung“, die in Hamburg Ende 1938 einsetzte, war Semler gezwungen, sein Geschäft zu verkaufen. Es ging für 14.000 RM an Karl Ebenau, Hammerbrookstr. 24. Der Kaufvertrag vom 3. Dezember 1938 wurde von der Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe unter Auflagen genehmigt.
Danach hatte der Käufer lediglich das Inventar und Warenlager zu übernehmen und die Warenschulden zu bezahlen. Semlers Verbindungen und Kontakte zu Herstellern, Lieferanten und Kunden, Goodwill genannt, blieben wie bei allen „Arisierungen“ unberücksichtigt. Nach der vorgelegten Schlussbilanz bekam er noch 6210 RM ausbezahlt, wovon eigene alte Verpflichtungen gegenüber Lieferanten und anderen abzuziehen waren. Schließlich verblieben ihm aus dem Geschäftsverkauf gerade noch rund 1000 RM. Damit stand der Betriebsgründer finanziell so schlecht da, dass selbst die Devisenstelle keinen Grund mehr für eine Sicherungsanordnung sah. Semlers Vermögen bestand nur noch aus einigen Forderungen, die noch einzutreiben waren. Nachdem sein Geschäft verkauft war, zog Hermann Semler in den Abendrothsweg 19, wo auch seine Tochter eine Zeitlang bei ihm lebte. Aus dem Bericht einer Freundin: „Ich besuchte Vater und Tochter und Enkelin noch einmal, nachdem sie schon alles verloren hatten in Eppendorf, Abendrothsweg, wo sie alle auf einem Zimmer vegetierten. Bella ging von dort aus mit ihrer Tochter ins Ausland. Von meiner Mutter hörte ich, dass Herr Semler später noch versucht hatte, ausstehende Beträge einzukassieren und dabei sehr unglimpflich behandelt wurde.“
Um Außenstände einzutreiben, fuhr Semler mit dem Fahrrad nach Wandsbek. So lange die Kunden von seinen Geschäftsbedingungen profitiert hatten, kamen sie wieder, als sie ihre Schulden nun begleichen sollten, sah das schon anders aus. „Manche verweigerten ihm ohne weiteres das Geld, weil er ein Jude war, aber er hatte auch viele Kunden, die ganz auf seiner Seite standen.“ Semler brauchte das Geld nicht nur für sich, er hatte auch die Judenvermögensabgabe in Höhe von 4000 RM zu entrichten, die er in Raten von je 1000 RM zahlte. Das war ihm aus eigenen Mitteln kaum möglich, denn 1939 verfügte er über kein steuerpflichtiges Einkommen mehr. Zudem unterstützte er noch Tochter und Schwiegersohn, deren Geschäft ebenfalls Ende 1938 erloschen war. Da sie kein Vermögen mehr besaßen, wohnten sie nun bei ihm. 
Ob es Semler gelang, seine Geldforderungen einzutreiben, ist zweifelhaft. Das sah auch der Rechtsanwalt so, der Semlers Kinder in den 1960er Jahren vertrat, indem er argumentierte: „...dass es einem Nichtarier damals kaum möglich war, seine Schuldner zur Zahlung zu bewegen, da die meisten Schuldner meinten, man brauche einem Juden seine Schulden nicht mehr zu bezahlen. Es war auch nicht ratsam vor Gericht zu gehen, da eine objektive Rechtsprechung nicht mehr bestand, (es galt) ... den Behörden so wenig wie möglich auffallen.“ 
Was mochte Semler gedacht haben, wenn er in Wandsbek an seinem Geschäft vorbeikam? Es soll schnell herunter gewirtschaftet worden sein, so dass die Erben nicht einmal Rückerstattungsansprüche geltend machen konnten. Bereits am 3. November 1939 war die Firma erloschen.
1940 wanderte seine Tochter Bella Leyser mit ihrem dreijährigen Kind in die USA aus, wo sich ihr Ehemann bereits aufhielt. Hermann Semler war jetzt auf sich allein gestellt, da auch sein Sohn Ludwig inzwischen Deutschland verlassen hatte. Semler erhielt die Einquartierung des Wandsbekers Albert Herzberg (s. Kap. Herzberg), mit dem er nun sein Zimmer zu teilen hatte.
Anfang 1942 verzog Semler auf Weisung der Gestapo in das Haus Kielortallee 24, ein sogen. Judenhaus und bereitete sich auf seine „Abwanderung“ vor. Er unterschrieb einen sogen. Heimeinkaufsvertrag, mit dem er seinen restlichen Besitz für eine Unterbringung in Theresienstadt abtrat. Drei Tage vor der Deportation überwies er den fälligen Betrag in Höhe von 1137 RM an den Jüdischen Religionsverband, der das Geld eintreiben musste. Am 15. Juli 1942 bestieg Hermann Semler den Zug nach Theresienstadt, wo er am 16. Juli registriert wurde. Er starb dort wenige Wochen später, am 4. August 1942, im Alter von 69 Jahren. Die Wandsbeker Spuren der Familie Semler wurden ausgelöscht – bis auf die Grabplatte, die man für Minna Semler in den 1960er Jahren anstelle des ursprünglichen, 1942 noch erhaltenen Grabsteines gesetzt hatte. 
Nachtrag: Der Verband des Norddeutschen Textileinzelhandels e.V. teilte dem Amt für Wiedergutmachung am 13. September 1961 mit, dass es sich bei der Firma Semler um ein kleines Geschäft gehandelt habe. Ähnlich schmälernde Beurteilungen wurden in der Hochphase der Wiedergutmachungsverfahren von den Fachverbänden oftmals ausgesprochen, um „arische“ Nachfolger nicht in allzu große (Nachzahlungs)Schwierigkeiten zu bringen.
Astrid Louven
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Todesfallanzeige der Gettoverwaltung Theresienstadt (Theresienstädter Initiative/Nationalarchiv Prag))

Hanna Stiefel, geb. 14.2.1874, deportiert am 18.11.41 nach Minsk

Stolperstein: Königsreihe 32 (Langereihe 56/57)

Die allein stehende Hanna (auch: Johanna) Stiefel stammte aus einer seit Ende des 18. Jahrhunderts in Wandsbek nachweisbaren Familie, den Leons, und konnte als Hausbesitzerin ihren Lebensunterhalt weitgehend selbstständig bestreiten. 
Sie war als Tochter des (koscheren) Schlachters Isaac Stiefel (Jg.1843) und seiner Frau Jeanette, geb. Leon (Jg.1831), in Wandsbek geboren worden. Sie hatte noch zwei ältere Geschwister, den Bruder Henry (Jg.1870) und die Schwester Fanny (Jg.1872), später verehelichte Meiberg. Auch diese wurde deportiert (s. die noch erscheinende Broschüre Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel).
Lebensmittelpunkt der Familien Stiefel und Meiberg war das Synagogenviertel, genau genommen die Langereihe 57; das einstöckige Haus gehörte der Familie. Der Vater arbeitete 1905 als Vorstandsmitglied und Kassierer im Israelitischen Wanderunterstützungsverein der Jüdischen Gemeinde Wandsbek mit. 1908 starb er. Hanna Stiefel wohnte weiter mit ihrer Mutter zusammen, die als Privatiere, d.h. als nichterwerbstätige Frau, die von ihrem Vermögen lebte, im Adressbuch eingetragen war.
Ob Hanna Stiefel je berufstätig war, ist nicht dokumentiert. Allerdings ist sie als Eigentümerin des Grundstücks Langereihe 56/ 57 in den Adressbüchern der 1920er Jahre verzeichnet. Offenbar hatte sie nach dem Tod ihrer Mutter 1918 die beiden Häuser geerbt. Sie lebte von den Mieteinnahmen der fünf Wohnungen, gelegen im Vorder- und Hinterhaus.
In den 1930er Jahren verließen ihre Angehörigen Wandsbek. Den Anfang machte ihr Neffe Julius Meiberg, der 1930 nach Hamburg zog. Dann folgte dessen Bruder Gustav, der bis zu seiner Heirat mit Charlotte, geb. Gabel, bei seiner Tante gewohnt hatte. Er wanderte 1934 aus. 1937 starb ihr Schwager, und ihre Schwester Fanny zog noch im selben Jahr nach Hamburg. Von Hanna Stiefels Familie lebte nun niemand mehr in Wandsbek. Auch andere Gemeindemitglieder hatten die Stadt längst verlassen. Geblieben waren noch die älteren Hausbesitzerinnen wie Sophie Hirsch und Lina Kümmermann und deren Angehörige (s. Kap. Hirsch und Kümmermann). Auch Hanna Stiefel musste ihren Besitz in Wandsbek 1939 verlassen. Sie zog in ein sogen. Judenhaus nach Harvestehude, Innocentiastr. 21.
Mit Ende des Jahres 1937 war die Jüdische Gemeinde Wandsbek aufgelöst worden, wo Hanna Stiefel zuletzt als steuerfreies Mitglied geführt worden war. Anfang 1938 trat sie in Hamburg in den Jüdischen Religionsverband ein. Vermutlich auf freiwilliger Basis entrichtete sie 1939 noch Gemeindesteuern, für 1940 und 1941 erfolgten keine Zahlungen mehr. Hanna Stiefel hatte ihren Nachlass geregelt, ihr Testament bei Dr. Nathan vom Jüdischen Religionsverband hinterlegt. Schon früher hatte sie eine Grabstätte auf dem Friedhof Jenfelder Straße reserviert, wo auch ihre Eltern begraben waren. Als sie im November 1941 als erstes Mitglied ihrer Familie den Deportationsbefehl erhielt, war sie 67 Jahre alt. Am 18. November 1941 bestieg sie mit rd. 400 anderen den Zug nach Minsk. Wie lange sie den harten Lebensbedingungen im dortigen Getto widerstehen konnte, ist nicht bekannt. Eine der letzten Spuren von ihr findet sich im Adressbuch von 1942. Dort war „Stiefel, Frl. H.“ noch als Eigentümerin ihres Grundstücks eingetragen – ohne den Zwangsnamen Sara. 
Nach einem Beschluss des Amtsgerichts Hamburg von 1951 wurde sie auf Ende des Jahres 1945 für tot erklärt. 
Mindestens eine Wandsbeker Anwohnerin erinnert sich noch an Hanna Stiefel, die bei der Familie die Miete entgegennahm. Sie beschreibt ihre frühere Hauswirtin als attraktive selbstbewusste Frau.
Hanna Stiefel hat ihren Geburtsort etwa zu dem Zeitpunkt verlassen, als es ihr, der jüdischen Vermieterin, gesetzlich verboten war, weiterhin die Miete zu kassieren. Sie hätte nach dem Gesetz nun einen „deutschblütigen“ Hausverwalter beauftragen müssen. Ob ein solcher bei den Mietern auch so lange in Erinnerung geblieben wäre wie sie selbst, bleibt fraglich.

Stolpersteinbiografien A-H
Stolpersteinbiografien I-K